Veliko Tarno wo?

Die Kommunikationsguerrilla Social Impact zu Besuch im Osten.

“Creativity and Wellbeing for All: Changing the Future!” war das Thema des 1. Weltgipfels der Community Arts Center und Netzwerke, der im bulgarischen Veliko Tarnovo vom 23. bis 28. September 2014 in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Netzwerk der Kulturzentren (www.encc.org) sowie mit verschiedenen kulturellen Netzwerken und Organisationen anderer Kontinente organisiert wurde. Auf Einladung der IG Kultur fuhren wir als VertreterInnen der österreichischen Aktionskunst zu dieser Konferenz.

Bulgarien war für uns wirkliches Neuland, und wären wir nicht zu dieser Konferenz eingeladen worden, so müsste Veliko Tarnovo wohl noch bis zum St. Nimmerleinstag auf unsere werte Visite warten. Ja, die Stadtverwaltung von Veliko Tarnovo könnte dann in ein paar Jahren nicht beschließen, sich für unsere Anwesenheit mit einer goldenen Gedenktafel oder einem heroisch-martialischen AktionsGuerillaKriegerInnenDenkmal zu bedanken.

Dabei war es auch für uns eine wertvolle Erfahrung, einmal in Richtung Osten zu schauen und einen Punkt auf der Landkarte aufzusuchen, von dessen Existenz wir zuvor nicht einmal gewusst hatten. Denn als Charity Lady der „Freunde des Wohlstands“ gehört es beispielsweise für die Baronin Klara von Kleingeld zum guten Ton, endlich wieder einmal ein Armenhaus zu besuchen. Diesmal war es sogar das Armenhaus Europas. Ein ganzes Land als Armenhaus. Was kann es denn Schöneres für eine echte Charity Lady geben?

Herbe Enttäuschung

Wie so oft im Leben, wurden diese Erwartungen allerdings keineswegs erfüllt. Nach einer langen Anfahrt über – zugegeben holprige – Straßen präsentiere sich Veliko Tarnovo am nächsten Tag durchaus als eine Stadt, in der einem auch ohne Bodyguard von den Einheimischen offenbar eine gewisse Überlebenschance eingeräumt wird. Dank der Tatsache, dass die kriminellen Elemente derzeit ja alle in Leonding, am Freinberg und am Pöstlingberg routiniert ihren Dämmerungseinbrüchen nachgehen, die wuschigen Frauen in das Linzer Rotlichtviertel verschleppt wurden und alle BettlerInnen die Landstraße bevölkern, kann man sich in Veliko Tarnovo unbehelligt aufhalten. Wären da nicht die Zeugnisse einer ausgeprägten Streetart-Szene, so käme einem dieses UNESCO-Weltkulturerbe ziemlich bieder und spießig vor. Wem es hier gefällt, der/die kann sich in der Nähe von Veliko Tarnovo bereits ein Haus um ein paar Tausend Euro kaufen – mit der Kreditkarte quasi. Das muss doch für frischgebackene HausbesitzerInnen aus Oberösterreich eine Genugtuung sein, eventuell in jenem Haus zu residieren, wo vielleicht die EinbrecherInnen aufgewachsen sind, die bei ihnen einmal zu Besuch waren.

Veliko Tarnovo hatte also etliche Klischees über den Haufen geworfen. Veliko Tarnovo hatte nicht einmal nichts zu bieten. Ganz im Gegenteil: Man findet dort beispielsweise tolle Läden mit der Mode junger bulgarischer DesignerInnen, man findet alles, was mit Rosen und deren Duft zu tun hat, und man findet, dass die großen internationalen Marken weiterhin draußen am Stadtrand in den Einkaufszentren bleiben sollten. Zudem gibt es auch zahlreiche Leerstände, aber nicht mehr als in Wels, in Rohrbach und in Freistadt.

Der Kongress fand stilgemäß im Grand Hotel Veliko Tarnovo statt, dessen Architektur ein wirkliches Erlebnis darstellte. Obwohl es sich um einen schroffen und nüchternen Betonbau handelt, kann man das Hotel zu Recht als eine Art Öko-Lounge bezeichnen. Denn bei entsprechender Witterung tropft es in der Lobby so stark von der Decke, dass man sich mit Regenwasser duschen kann. Die TeilnehmerInnen des Kongresses stammten vorwiegend aus europäischen Ländern sowie u.a. aus Aserbaidschan, Brasilien, Kolumbien und Honduras. Die Wahl dieses Themas resultierte aus der Überzeugung und Erfahrung der TeilnehmerInnen, dass Formen der Co-Kreation in der Kunst und insbesondere in lokalen kulturellen Praktiken das individuelle Wohlbefinden auf lange Sicht verbessern und somit dazu beitragen, dass sich die Lebensbedingungen der Menschen in Kommunen, Städten und Ländern dadurch nachhaltig positiv verändern würden. Beispielhaft dafür ist die Plattform Cultura Viva in Lateinamerika, ein Netzwerk der Künste für soziale Transformation, das auf diesem Gipfel vorgestellt wurde.

Unterrepräsentiert

Dass die Rolle der Kulturzentren in diversen Evaluierungen sowie im kulturpolitischen Diskurs unterbewertet sei, beklagte Dr. Peter Inkei vom Budapest Observatory. Er plädierte dafür, dass diese Kultureinrichtungen stärker in kulturpolitische Überlegungen einbezogen und in diversen Erhebungen und Verzeichnissen berücksichtigt werden sollen. Natürlich entbrannte eine Diskussion darüber, ob es tatsächlich sinnvoll wäre, die Bedeutung und Funktion von Kulturzentren beispielsweise durch Evaluierungen und universitäre Studien zu analysieren. Abgesehen davon, dass man sich dafür nicht so einfach auf Indikatoren einigen würde, stellt sich generell die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieses Unterfangens, zumal Kunst im Optimalfall ja auch gewisse Tendenzen skizziert oder Utopien darstellt, die vielleicht noch gar nicht in der Gesellschaft angekommen sind.

Ein Entwurf des Möglichen, der bei diesem Gipfel in den Raum gestellt wurde, war die Idee einer übergeordneten und weltweiten Plattform der Kulturzentren – quasi ein Netzwerk der Netzwerke, das als eine Art Dachorganisation auftritt. Aus dieser Idee resultierend wurde auch die Frage in den Raum gestellt, welche gemeinsamen Werte denn eine solche Plattform teilen soll. So wurde in die Diskussion eingebracht, dass in Bulgarien beispielsweise die orthodoxe Kirche einen nicht unerheblichen Einfluss auf die so genannten Bread Houses, kommunale Kulturzentren, hätte. Obwohl die Bread Houses aus einer Tradition der orthodoxen Kirche stammen und für Menschen aller Konfessionen offen sind, würde sich die Kirche beispielsweise gegen die so genannte „Schwulen- und Lesbenpropaganda“ aus dem westlichen Europa zur Wehr setzen. Dieses Statement hatte doch etwas Prickelndes an sich, das bei einigen TeilnehmerInnen auf entsprechende Reaktionen stieß.

Brot beim Backen zuhören

Wir durften uns im Verlauf des Rahmenprogramms auch vor Ort ein Bild vom Bread House in Veliko Tarnovo machen. Dort malten wir gemeinsam Bilder, zeichneten Blumen auf einer dünnen Schicht Mehl und sahen einen Film, bei dem man einem Brot beim Backen zuhören konnte. Obwohl das nicht unbedingt unserem Selbstverständnis von Aktionskunst entsprach, konnten wir dennoch einige Kontakte knüpfen und einen Einblick in jene Herausforderungen erhalten, womit Kulturzentren derzeit konfrontiert sind.

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