35 Jahre Wunscherfüllungsinstitut

Dominika Meindl erreicht Gerhard Fröhlich, den Vorsitzenden des Kulturinstituts an der Kepler Uni, in unruhigen Zeiten, das Büro muss übersiedelt werden, während der Lehrbetrieb wieder einsetzt. Am Gespräch nimmt die Filmemacherin Johanna Tschautscher teil. Anlass für das Gespräch ist nicht nur das Jubiläum, sondern der eher bescheidene Status Quo des Institutes. Trotzdem wird beim Gespräch viel gelacht. Eine Einstiegsfrage wartet Fröhlich gar nicht ab.

 

Fröhlich: Sag’ irgendein Thema, irgendein Format und ich sage: Das haben wir schon gemacht. Mein Lieblingsprojekt war «Medialer Ungehorsam» 2009, bei dem wir die TeilnehmerInnen dazu aufgefordert haben, in einem YouTube-Video Dampf abzulassen. «Was hat dich aufgeregt?» sollte aus der Opferrolle helfen. Einmal im Jahr veranstalten wir solche Workshops, teilweise finanziert von der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung. Wir unterstützen das Percussion-Projekt «Guaraná», die zuweilen bei uns auftreten, etwa bei einer Fotoausstellung zu Sandlern, von Manfred und Hermine Gsteu. Meine Idee war: Keine Instrumente, nur Konservendosen und Waschpulvertrommeln. Der Sound war hervorragend! Der Ausstellungssektor liegt leider darnieder, weil der Ausstellungsgang A und die Halle A in Büroräume bzw. Arbeitsräume für die Studis umgebaut wurden. Fotoausstellungen waren lange eine blühende Branche bei uns, jetzt eher Dokufilm, ich sage nur: Johanna Tschautscher.
 
Klingt so, als ob eh viel passiert.
 
Fröhlich: Die glorreichen Zeiten sind vorbei. Früher floss das Geld von Land, Stadt, Banken und Ministerien (zum Beispiel für «science week», damals Wissenschaft an schrägen Orten). Das Brisanteste waren zwei feministische Fotografinnen aus Australien, mit Bildern von weiblichen Genitalien. Vergrößert auf 2×3 Meter, in Schwarz/Weiß. Ich rechnete mit zehn Anzeigen, aber die Leute haben nix erkannt, die dachten wohl, sie seien in einer Ausstellung über Höhlen systeme. Als Barbara Lacher eine Rauminstallation über das Alltagsleben eines österreichischen Paares zeigte, die mit Bier und Popcorn Pornos schauten, zeigte uns ein Zeuge Jehovas an. Die Polizei kam, aber sie durfte eigentlich nicht auf das Unigelände, und zog wieder ab. Dann kam die Kriminalpolizei, sagte «Das ist Kunst, was sollen wir machen? » und ging wieder. Ein Lob der Kripo!
 
Es ist erstaunlich, dass 1979 an einer naturwissenschaftlichwirtschaftlichen Uni ein Kulturinstitut ins Leben gerufen wurde.
 
Fröhlich: Genau. Es gibt ein Philosophie-Institut, mit Lehrveranstaltungen für die verschiedenen Studienrichtungen. Der erste Philosoph im Haus, Rudolf Wohlgenannt, gründete das Kulturinstitut. Für Themen und Events, die normalen Unileuten zu unseriös, zu unwissenschaftlich waren. Ich kam erst später nach Linz und bin Leiter Nr 3. Zu meinem Einstand wurde ich vom ORF OÖ attackiert, ich hätte überhaupt kein Konzept. Daraufhin ich: Genau das ist mein Konzept – kein Konzept zu haben, sondern eine «Wunsch erfüllungsinstitution» zu sein.
 
Rührend, dass sich der ORF damals noch so eingemischt hat.
 
Fröhlich: Die Kronenzeitung brachte eine ganze Seite über uns! Was ist eine «Wunscherfüllungsinstitution»? Es kann jedeR halbwegs politisch und juristisch korrekte Mensch kommen – sofern die Idee interessant ist und nicht zu viel Geld kostet, kann er / sie bei uns realisieren. Das kann ganz schnell gehen, manchmal innerhalb von Tagen. Zur Wunscherfüllung gehört, dass wir eine Sparte wieder sterben lassen, zum Beispiel Ausdruckstanz, oder unseren Lateinamerika- Schwerpunkt. Wenn die Leute Linz verlassen, suchen wie keine NachfolgerInnen. Sterne erblühen und erlöschen.
 
Wie viele sind denn aktuell für das Kulturinstitut tätig?

 

 

Fröhlich und Tschautscher antworten gleichzeitig: Keine Ahnung!
 
Fröhlich: Das gehört zum dezentralen Ansatz. Wir waren schon ein Netzwerk, mit völlig selbständigen Sparten, lange, bevor dieser Begriff in Mode kam.
 
Tschautscher: Wie bin ich eigentlich dazugekommen damals?
 
Fröhlich: Ich sollte bei deinem Mafia-Film etwas zu «Identität» sagen.
 
Tschautscher: Stimmt!
 
Fröhlich: Und ich sagte: Ich kann mit diesem Wort nichts anfangen. Ich bin eine oberösterreichischdeutsch- estnische Mischung, und ich fühle mich gut dabei. Dann führten wir deinen Film über Schlepperbanden auf.
 
Tschautscher: «Fluchtziel Europa» lief in 13 afrikanischen Ländern – in Dörfern, Schulen, Unis, ein halbes Jahr im «Wüstenkino» in der Sahara, wo sich die Leute vor der gefährlichen Wüstenreise treffen. Aus diesen Erlebnissen machte ich für das europäische Publikum den Film «Flucht aus Afrika». Es ist auch mein Konzept, dass ich kein Konzept habe. Ich plane nicht, ein Film ergibt den nächsten.
 
Fröhlich: Ich glaube nicht an Planung. Es geht um die Förderung produktiver Zufälle, sagte Niklas Luhmann. Dein letztes Großprojekt, «Too BIG to Tell – Recherchen in der Finanzwelt» zeigen wir demnächst. Mit der ersten interviewten Person, die kommt per – sönlich aus der Leinwand.
 
Tschautscher: Diese Geschichte ist schlimmer als die Mafia, die will auch im Stillen agieren. Aber den Banken gelingt’s.
 
Fröhlich: Ich übernahm die Sparte «Der Kongress tanzt». Da stellten wir Philosophen als Künstler vor (wir fanden nur Männer), und haben Adornos Kompositionen aufgeführt (eher grausam), und umgekehrt Woody Allen über Tod und Sterben philosophieren lassen. Leider kam er nicht persönlich… Wir organisierten ein Symposion über den Anthropologen Clifford Geertz. Sein interessantes Konzept: Nur durch Pendelverkehr lässt sich etwas herausfinden. Er pendelte also zwischen Amerika, Marokko und Indonesien. Eine Berliner Ethnologin erläuterte uns ethnographische Filme aus Bali. Da fallen alle in kollektive Trance, das kann dort jeder. Unsere PercussionistInnen besorgten Originalinstrumente aus Bali und spielten, eine Meisterköchin in unseren Reihen fabrizierte eine balinesische Reisplatte. Diskutiert haben wir natürlich auch sowie ein Buch im Campusverlag herausgebracht. Mein zweites Thema sind die Konvergenzen der «Betriebssysteme» von Kunst und Wissenschaft. Meinen KünstlerfreundInnen erzählte ich oft, wie es in der Wissenschaft so zugeht: Anträge stellen, sich GutachterInnen unterwerfen, Ideen klauen lassen, für den Lebenslauf leben. Die meinten dann, «in der Kunst geht es genauso zu.» Wir machten dazu einige Events, u.a. die Ausstellung «BLACKBOX wissenschaft».
 
Also Synkretismus, keine Grenzen zwischen Theorie und Praxis.
 
Fröhlich: Genau, keine Grenzen anerkennen. Keine Schubläden, trotzdem solide! Wichtig ist das Vermischen von Kontaktkreisen. Wir alle glauben, dass wir Kontakt zur Welt haben, leben aber meist in einer sehr engen Welt. So oder so: Was wir machen, machen wir mit Liebe. Allerdings wird die finanzielle Lage immer prekärer.
 
Apropos. Täuscht der Eindruck, dass das Kulturinstitut finanziell marginalisiert worden ist?
 
Fröhlich: Das ist etwas kompliziert. Das Land sagte uns vor zwei Jahren in einem E-Mail eine Subvention zu, auf die warten wir bis heute. Die Stadt sagt uns in letzter Zeit von vornherein: «Wir haben kein Geld». Der Bund finanzierte viele unserer Ausstellungen, da fehlen uns leider nun die Räume.
 
Wie ist also die Stimmung am Kulturinstitut? Ist die Begeisterung abgeflaut?
 
Tschautscher: Das Kulturinstitut hängt an deiner Person, an deiner Kraft, Gerhard.
 
Fröhlich: Die bürokratische Zentrale für alles Unangenehme (Subventionsanträge, Abrechnungen usw.) sind Michi Passeiler und ich. Die Sparten trommeln, spielen Klavier, fotografieren, filmen. Unsere Leute sitzen in weiter Ferne und melden sich mit Fotos aus den afghanischen Bergen oder mit einem Vortrag über Kriegsverbrechen in Kambodscha. Ossi Leh ner, früher an der JKU Professor, Beamter auf Lebenszeit, gab seinen ultrasicheren Job auf, geht seitdem für UNO und EU nach Afghanistan, Pakistan, Kambodscha. Regina Tauschek berichtete aus Nordkorea. Was sich ergibt, veranstalten wir. Ansonsten: Sparen, sparen, sparen. Keine Plakate, keine Flyers, nur mehr E-Mails und WWW. Die Besucherzahlen nahmen keineswegs ab. Aber digitales Sponsoring ist schwierig, die Marketingleute glauben noch immer an Post und Papier.
 
Tschautscher: Ich frage mich ohnehin immer, wer das zahlt, wenn du laufend veranstaltest und mir Tantiemen zahlst, aber nix bekommst.
 
Fröhlich: Du bekommst natürlich Filmtantiemen, du kannst deine mühsam finanzierten Filme doch nicht gratis zeigen! Wir wurschteln dahin. Wir zahlen mit Naturalien – unseren CDs, Ausstellungskatalogen, Büchern. Mit der Bratsche, von meinem Vater geerbt. Aber unsere Notreserven sind jetzt aufgebraucht.
 
Tschautscher: Mir geht’s so ähnlich. Vorgestern habe ich die Spesen für meinen neuen Film hereinbekommen. Geld gibt’s ja, vergleichen darfst du nicht. Soko Kitzbühel bekommt 100.000 Euro für eine Staffel, weil sie ein paarmal den Nationalpark zeigen, das ist so lächerlich. Andererseits hat mir 3SAT für einen Film 1.500 Euro bezahlt, weil er nach 22 Uhr gezeigt wurde.
 
Fröhlich: Zum alten neuen Prekariat in Kunst und Wissenschaft, Medien und Kultur sollten wir uns ein medienwirksames Event einfallen lassen.
 

Gerhard Fröhlich, a. Univ. Prof. (Kulturtheorie, Wissenschaftsforschung), ist Vorsitzender des Kulturinstituts an der Johannes Kepler Universität Linz
 
Johanna Tschautscher, Autorin und Doku-Filmerin, ist Vorstandsmitglied des Kulturinstituts an der Johannes Kepler Universität Linz
 

 
kulturinstitut.jku.at
 
tschautscher.eu
 
youtube.com/watch? v=9nEQLIHnes