Gigi Gratts offenes Improvisationsensemble GIS Orchestra landete — auf Bewerbung durch die Vereine KomA Ottensheim und waschaecht Wels — erfolgreich im Kupf-Innovationstopf. Was es mit dem Orchester, in dem GIS für Go for Improvised Sounds steht, auf sich hat und wofür der warme Kupf-Geldregen gut ist, versucht Andrea Agnoli herauszufinden.
Ein Phänomen, das noch nicht hinreichend analysiert wurde, ist die Dichte an kreativen Geistern der kleinen Donaugemeinde Ottensheim, die, auf die Einwohnerzahl gerechnet, in einer globalen Hitparade ganz weit oben rangieren müsste. Warum das, kulturhistorisch und soziodynamisch gesehen, so ist, wäre noch wissenschaftlich zu beleuchten. Einer der Leitwölfe dieser beachtlich kunstaffinen Kommune heißt jedenfalls Christian Gratt, genannt Gigi, und spielt vorwiegend Gitarre, Bass und Trompete. Er ist federführend an Freischärler-Bands wie Tumido, Braaz und NI beteiligt, kooperiert mit etlichen Koryphäen aus dem In- und Ausland und hat vor Jahren mit Gigi’s Gogos seine erste größere Formation ins Leben gerufen. Um diese zu dirigieren, hat sich Gratt eine umfangreiche Zeichensprache angeeignet, die er, über die Jahre sukzessive erweitert, heute noch anwendet.
Was die Organisation von Klängen in einem großen Ensemble anlangt, schaden einschlägige Erfahrungswerte nicht. So erhielt Gratt essenzielle Anregungen durch seine mehrmalige Mitwirkung am STIO, dem Styrian Improvisers Orchestra – das wiederum durch das britische LIO, das London Improvisers Orchestra, maßgeblich motiviert wurde, mit dem man sich rege austauscht – und am VIO, dem von Michael Fischer geleiteten Vienna Improvisers Orchestra. In den genannten Großgruppierungen wird auch diesseits des Großen Teichs kontinuierlich der Beweis dafür erbracht, dass die Elemente Improvisation und Orchester einander nicht widersprechen müssen, sondern befruchtend aufeinander wirken können.
Ausgestattet mit diesen Improvisationsorchester- Erfahrungen, wird Gigi Gratt daheim in Oberösterreich von Wolfgang Wasserbauer, dem Mastermind der Welser Kulturinitiative waschaecht, die neben einem bemerkenswerten interdisziplinären Jahresprogramm jährlich das weltweit renommierte unlimited- Festival ausrichtet, dazu angestachelt, selber ein Improvisationsorchester auf die Beine zu stellen und damit im Alten Schl8hof zu proben und aufzutreten. Gesagt, gedacht, getan. Das GIS Orchestra wurde formiert. Wobei ein wesentlicher Gründungsgedanke Gratts darauf hinauslief, dass so ein Großensemble möglichst offen strukturiert sein müsse und sich gleichberechtigt aus Profis und Amateuren zusammensetzen soll. Hauptsache, sie entwickeln eine Leidenschaft und ein Gespür für freie Musik, sagt Gigi in einer Kupf-Radiosendung auf Radio FRO, und sind offen für Experimente. So etwas wie instrumentelle Virtuosität habe für ihn keinerlei Relevanz. Also ergab es sich, dass ihm mittlerweile ein Pool aus rund dreißig Musikerinnen zur Verfügung steht, Tendenz steigend. Zwischen zehn und zwanzig davon kommen jeweils zu den Aufführungen.
Luxussituation
Go for Improvised Sounds lautet also seit Herbst letzten Jahres das Motto eines bunten Haufens inspirierter Freaks, der einmal im Monat im Alten Schl8hof für Furore sorgt. Seit einiger Zeit streckt man die Fühler nach zusätzlichen Tatorten aus, spielt, kurzfristig eingesprungen, am Openair Ottensheim, macht die Stadtwerkstatt und den Rothen Krebs in Linz kollektiv unsicher – und wird, als vorläufiges GIS-Highlight, im November beim unlimited-Festival auftreten, zusammen mit den Gästen Elisabeth Harnik und Christof Kurzmann.
Apropos Gäste: Zur Bereicherung der ästhetischen Möglichkeiten – und weil es mir auch zu deppert ist, es immer selber zu machen, sagt ein lachender Gigi Gratt – lädt sich das GIS Orchestra neben musizierenden Gästen, wie etwa Judith Unterpertinger oder Didi Bruckmayr, regelmäßig Gastdirigentinnen ein. Als da wären die Pianistin Elisabeth Harnik und die Vokalistin Annette Giesriegl (zwei Steirerinnen mit einschlägigen Erfahrungen sowohl im Grazer als auch im Londoner GIS-Pendant), der Geiger Michael Fischer vom VIO und der Elektroniker, Saxofonist und Sänger Christof Kurzmann, der seinerseits in dem Jahr das ähnlich gemischt formierte Orchester 33 1/3 gegründet hat, als er exakt dieses Alter erreichte. Kurzmann war es auch, den man für einen mehrtägigen Workshop gewinnen konnte. Einen jener Workshops, wie Kurzmann sie auch in seiner zweiten Heimat Argentinien durchführt; dort übrigens immer mit Bedacht darauf, dass sowohl Amateurinnen als auch Frauen mindestens zur Hälfte im Teilnehmerfeld vertreten sind. Gigi Gratt ist voll des Lobes für Kurzmanns Orchesterarbeit: Das war eine totale Luxussituation für uns, weil wir uns im Normalbetrieb meist erst eine Stunde vor dem Auftritt treffen. Da bleibt dann keine Zeit für viel Proben oder gar für das Einüben konzeptueller Methoden. Und was hat diesen Workshop ausgezeichnet? Gratt: Es ging viel um Dynamik, um Timing, um Sounds – aber auch um Stille. Das sei ja eben das Geile am GIS Orchestra, sagt Gratt, dass selbst in Situationen, in denen nur wenige Töne passieren, eine unglaubliche Energie zutage trete.
Moment + Musik = Energie
Diese Momentmusik, die sich ausschließlich um Improvisation bzw. um Jetztzeitkompositionen dreht, birgt eine für Gratt geradezu unfassbare Intensität und einen Energiefluss, den man in kleinen Combos nie und nimmer erreichen könne. Durchaus sympathisch ist ihm auch die Flüchtigkeit improvisierter Klänge in Konzerten, die niemals auf gleiche Weise wiederholbar sind. Nicht einmal, wenn ich meine Dirigierzeichen aufschreiben würde, was ich natürlich eh nicht mache. Sagt Gratt und kudert. Es handle sich hauptsächlich um die Schaffung und die Nutzung eines künstlerischen und gesellschaftlichen Freiraums. Um unplanbare Zustände und Situationen, die man im GIS Orchestra bewältigen und mit außerordentlich hohem Lustfaktor ausstaffieren könne.
Bei all seiner Euphorie, hervorgerufen durch die soziale und musikalische Energiezufuhr des GIS Orchestra, bleibt Gigi Gratt mit beiden Beinen am Boden, wenn es um die ökonomischen Bedingungen eines solchen Unternehmens geht. Vor allem der organisatorische Aufwand dafür sei eigentlich ein Irrsinn, wie er erzählt. Allein für Fahrt und Verpflegung des Orchesters geht ein Haufen Geld drauf. Über Gagen brauche man gar nicht erst nachzudenken beginnen. Auch und besonders in dieser Hinsicht bedeutet der warme Geldregen, der durch den Kupf-Innovationstopf über das GIS Orchestra niedergeht, ein höchst willkommenes Ereignis. Fazit: Wir haben es hier mit einer so losen wie sympathischen Ansammlung musiknarrischer Menschen zu tun, die Monat für Monat extremen Spaß am kollektiven Improvisieren aufbringen und diesen auch beim Publikum auslösen. Gigi Gratts Rechnung geht offenbar glatt auf: Moment + Musik = Energie. Die Leidenschaft und das Gespür für freie Musik zahlen sich aus. Bestes Beispiel dafür ist die musikalische und soziale Skulptur namens GIS Orchestra.
Tipp:
Sa, 8. Nov 2014
unlimited 28
Alter Schl8hof Wels
GIS Orchestra + Elisabeth Harnik + Christof Kurzmann