Kreatives Europa: ein neues Programm, eine neue Kulturpolitik?

Die Europäische Kulturförderung hat seit Jänner 2014 ein neues Gesicht: Kulturförderung wird ökonomisiert. Ein Text von Cornelia Bruell.

Europäischer Rat und Europäisches Parlament einigten sich im Dezember 2013 nach langen Diskussionen und Verzögerungen über den konkreten Inhalt des Kulturförderprogramms „Kreatives Europa“. 2011 hatte die Europäische Kommission den ersten Entwurf zum Programm vorgelegt, aber inhaltliche Vorbehalte seitens der Nationalstaaten und des Europäischen Parlaments, sowie die Uneinigkeit über den mehrjährigen Finanzrahmen der EU unterbrachen die Verhandlungen. Mit dem neuen Programm werden die bisherigen Programme „Kultur“, MEDIA und MEDIA Mundes zusammengeführt, den neuen Herausforderungen des Kultur- und Kreativsektors soll begegnet werden und ein Garantiefonds als Erleichterung für die Kreditnahme von Kultureinrichtungen wird etabliert.

Schlussendlich wurde es mit einem Budget in der Höhe von etwa 1,4  Milliarden Euro für die Förderperiode 2014-2020 ausgestattet. Dies kommt im Vergleich zum Förderprogramm 2007-2013 einer Erhöhung um 9% gleich, fällt aber im Verhältnis zum ursprünglich anvisierten Rahmen von 1,8 Milliarden dann doch bescheiden aus.

Trotz des jüngst erzielten Kompromisses ist zu fragen: Warum sprach der Deutsche Kulturrat von einem Paradigmenwechsel bezüglich der Neuausrichtung des Programms? Und konnten mit der Einigung alle Bedenken einer radikalen Ökonomisierung des Kulturbegriffs entgegen gewirkt werden? Immerhin hatte das Europäische Parlament über 600 Änderungsanträge zum ursprünglichen Textentwurf eingebracht, die verschiedenste Aspekte der Neuausrichtung kritisierten (z.B. Streichung der Projektfinanzhilfe, Verzicht auf den Verweis der Bedeutung von Kulturförderung für die Entwicklung einer Europabürgerschaft, etc.)

Dazu ein kleiner Rückblick: Zentrale Anliegen des neuen Förderprogramms sollten sein: eine effizientere Gestaltung der Administration und Förderstrukturen, Antworten auf sogenannte „neue Herausforderungen“ für den Kultur- und Kreativsektor wie Globalisierung und Digitalisierung zu finden und die Erleichterung von Kreditbewilligungen für kleine und mittlere Unternehmen (inklusive Mikrounternehmen) mittels eines neu eingerichteten Garantiefonds zu ermöglichen (der übrigens nicht vor 2016 realisiert werden wird).

Strukturell sollten die EU-Kulturförderprogramme „Kultur“, MEDIA und MEDIA Mundus zusammengelegt werden, wodurch administrative Einsparungen erzielt werden sollten. Den Mitgliedstaaten sollte die Entscheidung überlassen werden, ob auch die länderspezifischen Beratungsstellen (Media Desk und Cultural Contact Points, also für das Medienförderprogramm und das Kulturförderprogramm) zusammengelegt werden – die Kommission wollte dies im ersten Entwurf verpflichtend einführen. Hier kam es zu erheblichem Protest, da die Förderberatung für den audiovisuellen und den spezifischen Kunst- und Kulturbereich sehr unterschiedliche Expertisen notwendig macht.

Der Duktus des Programms hatte sich im Vergleich zu jenem der Förderperiode 2007-2013 stark verändert: statt dem primären Anliegen des kulturellen Austauschs, der Mobilität von Kulturschaffenden, der langfristigen Vernetzung und der Europabürgerschaft, ging es nun vor allem um Beschäftigungspotenziale der Kultur- und Kreativbranche (unverständlicher Weise wurde im deutschen Entwurf der Begriff „Sektor“ mit jenem der „Branche“ ersetzt), die Entwicklung neuer Publikumsschichten und der Eroberung neuer Märkte.

„Kultur“ wird nun definiert „als Katalysator für Kreativität innerhalb des Rahmens für Wachstum und Beschäftigung“, was die rein instrumentelle Perspektive auf den Kultursektor sichtbar macht. Es geht nun um „Wertschöpfungsketten“, „Waren und Dienstleistungen“. Explizites Ziel ist: „mehr Handel innerhalb des Binnenmarktes, intensiver internationaler Handel und höhere Einnahmen für die Branche“. Die hie und da auftauchenden Begriffe wie „kulturelle und sprachliche Vielfalt“ und der „Beitrag der Kultur- und Kreativbranche gegen Diskriminierung, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ wirken da wie Geister aus der Vergangenheit. Im neuen Entwurf ist weder von der ausschließlichen Förderung von non-profit-Projekten noch der Europabürgerschaft mehr die Rede.

Nach zahlreichen Interventionen und Kritik seitens der kulturschaffenden und -politischen Zivilgesellschaft (z.B. des Deutschen Kulturrats) aber auch nationaler politischer Vertretungen, wie dem Deutschen Bundesrat, dem Deutschen Bundestag und anderer nationaler und europäischer Interessenvertretungen, versprach der Rat das Verhältnis zwischen ökonomischen und kulturellen Zielen auszugleichen. Vor allem der intrinsische Wert von Kultur soll stärker betont werden.[1] Auch einzelne Änderungsvorschläge des Europäischen Parlaments wurden aufgenommen. Viel geändert hat sich jedoch nicht.

Ein Blick auf die Website der Kommission genügt: Im Bereich „Häufig gestellte Fragen“ wird als eine der zentralsten Problematiken genannt: „Eine der größten Herausforderungen ist die Marktfragmentierung, die auf die vielen verschiedenen kulturellen Traditionen und Sprachen zurückgeht“. [2] Soll also der kulturellen Vielfalt nun entgegen gewirkt werden, damit sich dem freien Markt keine Hindernisse mehr in den Weg stellen?

Nicht nur begrifflich, auch inhaltlich und strukturell gibt es einige Bedenken: Ob der Garantiefonds so erfolgreich sein wird, wie erhofft, bleibt abzuwarten. Auch wenn die EU einen Schuldtitel übernimmt, so werden Kreditinstitute doch bevorzugt in gewinnorientierte Projekte und Unternehmen investieren. Dies schließt sehr kleine und weniger kommerzielle Projekte von vornherein aus.

Insgesamt spiegelt sich also im neuen Kulturförderprogramm ein Trend, der vor allem auf schnelle ökonomische Verwertbarkeit, Zielgenauigkeit und Modellierbarkeit des Publikums und die Quantifizierung von kultureller Produktion abzielt. Interviews mit Kulturschaffenden und kulturpolitisch Engagierten (siehe ifa-Studie der Autorin) zeigt, dass dies wenig Hoffnung auf eine erfolgreiche kulturpolitische Zukunft gibt. Kritik wird zum Beispiel an der Entpolitisierung des Kulturbegriffs geübt: emanzipatorische und gesellschaftskritische Funktionen von Kultur müssten explizit gemacht werden. Die demokratiepolitische Relevanz von Kunst und Kultur käme im Programm zu kurz. Schnittstellenphänomene müssten stärker Berücksichtigung finden. Begriffe wie „cultural industries“ kämen aus dem angelsächsischen Raum und spiegeln eine ganz andere Tradition wieder. Kreativität solle nicht als Produkt verstanden werden, stattdessen müsste für die Bedingungen kreativen Schaffens gesorgt werden. Qualitative Kriterien bei Evaluierung und Monitoring sollten stärker berücksichtigt werden als quantitative (z.B. Besucherzahlen). Es gibt gute Ideen von kulturschaffender Seite, im Programm fand dies leider kaum Beachtung.

Austeritätspolitik und Finanzkrise hinterlassen natürlich auch im Kulturförderprogramm ihre Spuren: Kulturförderung soll effizienter werden, Bedarfsanalysen werden herangezogen, das Publikum soll zum Konsum von Kulturgütern erzogen werden. Wie kreatives Arbeiten funktioniert, wurde hier nicht berücksichtigt: Gewinn- und Wertschöpfungsdenken sind hier wenig zuträglich. Das, wie Rancière (2010) es nennt, „pädagogische Modell der Wirksamkeit von Kunst“ (siehe Publikumsentwicklung) ermächtigt das Publikum weniger als es entmachtet wird; das kulturelle Streamlining durch quantitative Kriterien wird dem Ziel der Förderung der kulturellen Vielfalt Europas nicht gerecht und die Beschwichtigung der Kommission, dass sich zwar der Duktus aber nicht der Inhalt des Programms ändern würde, ist blind gegenüber der wirklichkeitsschaffenden Funktion von Sprache. Bleibt zu hoffen, dass die Europäische Kulturpolitik doch noch die Augen öffnet und all die positiven und innovativen Stimmen ihrer kreativen Vielfalt vernimmt und zum Sprechen bringt. Erhebungen solcher Art wurden auch im Entstehungsprozess des neuen Kulturförderprogramms gemacht – Eingang in das Förderprogramm fanden sie leider nicht.

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Zitate zum Programm aus:

  • Europäische Kommission (2011a): Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Programms Kreatives Europa, Brüssel, 23.11.2011, KOM(2011) 785 endg.
  • und: Europäische Kommission (2011b): Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat, den Wirtschaftsund Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Kreatives Europa – Ein neues Rahmenprogramm für die Kultur- und Kreativbranche (2014–2020), Brüssel, 23.11.2011, KOM(2011) 786 endg.
  • Cornelia Bruell, Kreatives Europa 2014-2020. Ein neues Programm – auch eine neue Kulturpolitik? – Stuttgart: Institut für Auslandsbeziehungen, 2013. – 59 S. (ifa-Edition Kultur und Außenpolitik)
  • Jacques Rancière (2010): Der emanzipierte Zuschauer, hg. von Peter Engelmann, Wien.