Chlorhuhn, Hormonfleisch und Fracking – diese Stichworte prägen aktuell die Debatte über die EU-USA Freihandelsverhandlungen. Dass diese auch „das Ende von Kunst und Kultur, wie wir sie kennen“ einläuten könnten, so etwa die IG Autorinnen und Autoren, verhallt in der medialen Auseinandersetzung weitgehend unbeachtet.
Seit Juli 2013 verhandeln die Europäische Union und die Vereinigten Staaten von Amerika über eine Neugestaltung ihrer Wirtschaftsbeziehungen im Rahmen der sogenannten „Transatlantic Trade and Investment Partnership“. Durch den Abbau bestehender Handelsschranken zwischen den EU und den USA sollen Geschäfte und Investitionen im anderen Markt erleichtert und damit die Wirtschaft angekurbelt werden. Derartige Schranken reichen von klassischen Zöllen für gehandelte Produkte über unterschiedliche Normen und Standards, die etwa für die Zulassung bestimmter Güter im jeweiligen Markt gelten, bis zu Beschränkungen betreffend Investitionen ausländischer Unternehmen. Zur Diskussion stehen sämtliche Bereiche, in denen Barrieren für den grenzüberschreitenden Handel und Investitionen bestehen – auch der Kunst, der Kultur und des Medienbereichs. Denn jeder Eingriff in den Markt, der zwischen nationalen und nicht nationalen Akteur_innen unterscheidet, etwa durch Förderung nationaler Kulturschaffender, ist als Handelsbarriere zu werten, die den freien Wettbewerb verzerrt.
Wie Kunst und Kultur bei Handelsverhandlungen zu behandeln sind, zählt zu jenen Bereichen, in denen EU und USA traditionell unterschiedlicher Auffassung sind. Die USA plädieren dafür, dass die Nachfrage das Kulturangebot regelt und sich das kulturelle Angebot ohne staatliche Intervention am Markt entwickeln soll. Demgegenüber räumt die EU Kultur einen Sonderstatus zu und sieht staatliche Unterstützung von Kulturangeboten, die sich nicht über den Markt alleine finanzieren könnten, als legitim an – von lokaler Kulturinfrastruktur, über Programme für sprachliche Minderheiten bis zur Ermöglichung von experimentellem oder nicht-kommerziell ausgerichtetem Kulturschaffen. Ohne staatliche Unterstützung wären diese Kulturformen am Markt oftmals nicht überlebensfähig. Die Palette an kulturpolitischen Instrumenten, die eine Barriere für den freien Handel darstellen können, reicht jedoch weit über finanzielle Unterstützung hinaus: von Fördermaßnahmen für nationale Kulturproduktion sind auch die öffentlich-rechtliche Organisation von Kultureinrichtungen wie Museen und Theater, die Finanzierung kultureller Angebote durch Gebühren, wie etwa Bibliotheken und Rundfunk, bis zu besonderen Steuerregelungen und Preisregulierungen für kulturelle Produkte. Alle diese Steuerungsinstrumente verzerren den freien Wettbewerb. Sie sind Handelsbarrieren und als solche potentiell Gegenstand der Verhandlungen zwischen der EU und den USA.
In den letzten zwanzig Jahren galt als unumstritten, dass die EU in Freihandelsverhandlungen nicht den Kunst- und Kulturbereich verhandelt und sich noch vor Aufnahme der Verhandlungen zur sogenannten „kulturellen Ausnahme“ verpflichtet. Mitte letzten Jahres, stand jedoch genau diese zur Disposition. Bei Handelsverhandlungen werden die EU-Mitgliedstaaten durch die Europäische Kommission vertreten. Diese agiert auf Basis eines Verhandlungsmandats, in dem die EU-Handelsminister_innen Umfang und Ziele der Verhandlungsführung durch die Kommission definieren. Entgegen der bisher üblichen Praxis einer Festschreibung der „kulturellen Ausnahme“ forderte die Europäische Kommission ein umfassendes Mandat. Kein Bereich sollte von vornherein aus den Verhandlungen ausgeschlossen werden. Befürchtet wurde, dass als Reaktion auf eine Einschränkung des Verhandlungsdossiers durch die EU auch die USA sensible Bereiche, in denen die EU Handelsinteressen hat, ausklammern könnte.
Über 8000 Filmschaffende protestierten und schließlich erklärte Frankreich den Schutz der kulturellen Ausnahme zur Chefsache durch Präsident Hollande. Die EU-Handelsminister_innen einigten sich schließlich auf den notwendigen Kompromiss – denn der Beschluss der Verhandlungsrichtlinien musste einstimmig erfolgen. Ausgenommen aus dem Mandat sind nun explizit audiovisuelle Dienstleistungen. Die Europäische Kommission darf folglich mit den USA nicht über den Filmbereich verhandeln. Zwar sieht das Mandat die Möglichkeit vor, dass die Kommission zu einem späteren Zeitpunkt zusätzliche Verhandlungsrichtlinien zum audiovisuellen Bereich einholen kann. Nachdem dieser Beschluss abermals einstimmig durch die EU-Handelsminister_innen erfolgen müsste, ist nicht davon auszugehen. Abgesehen von dieser „audiovisuellen Ausnahme“ sind jedoch sämtliche anderen kulturrelevanten Bereiche vom Mandat umfasst – von kulturellen Gütern, wie Bücher und Kunstwerke, über Unterhaltungsdienstleistungen wie Theater und Live-Bands, spezifischen Unternehmensdienstleistungen wie Fotographie, Druck- und Verlagswesen bis zu Bibliotheken, Archiven und Museen.
Ob über diese Bereiche auch tatsächlich verhandelt wird, weiß die Öffentlichkeit nicht. Die Verhandlungsdokumente und -positionspapiere unterliegen strikter Geheimhaltung. Erst wenn das Abkommen bis auf das letzte Wort ausverhandelt ist, wird es veröffentlicht und dem Europäischen sowie den nationalen Parlamenten vorgelegt. Deren Spielraum ist auf eine Ja/Nein Entscheidung beschränkt – entweder wird das Abkommen angenommen oder abgelehnt. Eine Öffnung einzelner Bereiche oder Formulierungen ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Die Befürchtung von Kulturschaffenden, dass mögliche negative Auswirkungen für den Kunst- und Kultursektor nicht schwer genug wiegen könnten, um das gesamte Abkommen scheitern zu lassen, ist nachvollziehbar. Zwar ist die Kommission durch das Verhandlungsmandat dazu angehalten, darauf zu achten, dass das Abkommen den kulturpolitischen Spielraum nicht beschneiden wird. Wie die Europäische Kommission dies in der Praxis umsetzt und auslegt, ist nicht bekannt. Kulturpolitische Expert_innen sind im Verhandlungsteam der Kommission nicht vertreten. Auch in der jüngst von der Kommission ins Leben gerufenen Expert_innen-Gruppe, die die Kommission aus Perspektive der Zivilgesellschaft beraten soll, fehlt der Kultursektor.
Solange die Verhandlungsdokumente und -positionen nicht öffentlich sind, kann über die Konsequenzen für Kunst und Kultur nur spekuliert werden. Kulturschaffende fordern daher eine endgültige und umfassende Ausklammerung aller kulturrelevanten Sektoren aus den Verhandlungen der EU mit den USA sowie eine transparenten Verhandlungsprozess, bei dem kulturpolitische Expertise systematisch berücksichtigt wird.