Als kreativer Mensch fühlt man sich oft allein auf weiter Flur – nein, viel eher fühlt man sich allein im System. Wir sollen in einem System funktionieren, das so überhaupt nicht dem entspricht, wie kreatives Denken funktioniert. Und ich unterstelle neuen Arbeitsformen hier natürlich, dass sei zwangsläufig kreativ sein müssen. Oft werden Menschen auch ziemlich unfreiwillig in eine kreativwirtschaftliche Selbständigkeit gedrängt, die sie dann wieder in alte Rollen und Systeme presst. Es geht dabei durchaus um Elementares: Wie sieht die Pflichtversicherung für (neue, kreative) Selbständige aus? Nicht den eigentlichen Anforderungen entsprechend, meiner Meinung nach. Wie steht es mit Abgaben und Steuern? Ebenfalls nicht adäquat, und oft kilometerweit an einer (neuen, kreativen) Realität vorbei. Die Realität ist in den weitaus meisten Fällen prekär. Und der herkömmliche Arbeitsmarkt bietet oft wenig. Nun gilt es, Allianzen einzugehen, um Projekte zu stemmen. Man muss als Individuum permanent funktionieren und oft auch auf möglichst vielen Gebieten Profi sein, der Spielraum ist klein. Kreativ sein wird zum Drahtseilakt, weil man sich permanent zwischen den Systemen bewegt. Es geht auch in der Kreativwirtschaft zunehmend um gesellschaftspolitische Belange.
Ob ein «Kreatives Europa» es schafft, neuen Arbeitsmethoden und dadurch oft unorthodoxe Lebensentwürfe wertschätzend und zeitgemäß gegenüberzutreten, das wage ich zu bezweifeln. Wie lassen sich fluktuierende Konzepte, Kunst, Kultur und Kreativität in den genormten Förderantrag pressen und durch einen trägen Verwaltungsapparat schleusen? Meiner Meinung nach geht sowas per Definition nicht.
Einer meiner Lieblingssprüche ist ja «You have to learn the rules like a pro so you can break them like an artist», den man Pablo Picasso zuschreibt. Naja, womöglich muss man im Kreativsektor genau das tun, um schlussendlich die Grenzen im eigenen Terrain neu auszuloten: Man muss lernen, Förderanträge zu schreiben und Förderungen abzurechnen. Man muss sich wohl mit EU-Förderungen selber Spielräume aufmachen, die es einem erlauben, sich in Resilienz zu üben, mit dem System zu spielen im Streben nach guter Arbeit, nach bedeutungsvoller Arbeit. Und wieder greift man auf das Individuum zu.
Ich für meinen Teil möchte ja gerne die Gemeinschaft (warum nicht die Europäische?) in die Pflicht nehmen: Sie muss uns Räume – auch echte physische Räume – bieten, damit sich unsere Kreativität entwickeln kann. Es müssen Möglichkeitsräume und Spielräume aufgemacht werden. Und der Einstieg muss nieder- schwellig sein. Es muss Spielplätze geben, die nicht in erster Linie auf Verwertungsmöglichkeiten abzielen.
Wenn wir vom kreativen Europa sprechen, dann sehe ich hier auch eine Grundproblematik: Ich bewege mich – wie ganz viele – an Schnittstellen und Rändern von Kreativwirtschaft, Kunst und Kultur. Es gibt Überlappungen und Graubereiche, die ich selber oft nicht gut abgrenzen kann, und oft will und kann ich gar nicht klar trennen, welche Anteile meiner Arbeit nun der Kreativwirtschaft zuzurechnen sind, welche Kreativität meinen, und welche sogar der Kunst. Muss ich mir bei einer EU-Einreichung aber alles in Bausch und Bogen fördern und abkaufen lassen?
Da will ich nicht so recht mitspielen. Ich teile gern, ich lass mir auf jeden Fall in die Karten schauen, aber: Bei mir gibt’s keine Ideen abzugreifen. Wir haben gute Ideen, wir kochen sie aber lieber auf kleiner Flamme. Gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen!
Gerda Haunschmid ist in unterschiedlicher Form seit 1998 im Netz unterwegs, auch als tschörda und gschaftlhuawarin. Sie will nur spielen.