Seit 15 Jahren sind die Freien Radios ein fixer Bestandteil in der österreichischen Medienlandschaft. 15 Jahre, in denen sie sich vermehrt, entwickelt und vielen Widerständen zum Trotz etabliert haben. Vier RadioaktivistInnen im Gespräch über Wesen, Vergangenheit und Zukunft der Freien Radios.
15 Jahre aktive Radioarbeit, 24 Stunden täglich, 7 Tage die Woche, in 25 verschiedenen Sprachen, von mittlerweile 14 Freien Radiostationen in ganz Österreich, gestaltet von über 2.500 RadioaktivistInnen für über 4 Millionen potentielle ZuhörerInnen. Das sind die Zahlen. Ich habe vier Radiomachende getroffen und mit ihnen über Freie Radios, wesentliche Veränderungen und Entwicklungen, Potentiale und Wünsche gesprochen: Herbert Gnauer, Barbara Huber, Helga Schager und Michaela Schoissengeier.
In der Charta der Freien Radios ist von einem gemeinnützigen, nicht-kommerziellen und kommunikativen Mehrwert, einem allgemeinen und freien Zugang zu Sendeflächen und von freier Meinungsäußerung die Rede. Was ist für euch das wichtigste ?
Herbert Gnauer: Der berühmte Programmauftrag, allen jenen eine niederschwellige Bühne zu bieten, die in den Mainstreammedien nicht oder unterrepräsentiert sind. Für mich persönlich als Radiomachender ist der Freiraum am wichtigsten, den ich tatsächlich habe. Ich kann mein Format definieren, meine Inhalte festlegen und selbst gestalten.
Barbara Huber: Das Wesentlichste ist für mich der Communityaspekt, dass man mit mehr Leuten zusammenarbeitet und eingebettet ist in ein großes Ganzes. Wesentlich ist auch der Ausbildungsbereich, dass man Leute befähigt, Radio zu machen, aber nicht nur im Sinne von Podcast, sondern tatsächlich in einem Live-Studio. Auch, dass es nichtkommerziell ist, finde ich nach wie vor sehr wichtig. Interessant fand ich da die Erkenntnis, dass Orange in Wien mehr MigrantInnen bekannt ist als etwa Ärzten. Also wenn ich einen Arzt frage, ob er Orange kennt, bekommt ich meist eine negative Antwort, bei Putzfrauen oder Taxifahrern ist das meistens anders.
Helga Schager: Meinung mitgestalten zu können, was für mich eine demokratische Medienlandschaft ausmacht. Nicht vorgegebenen (Hör-)Mustern folgen zu müssen und jegliches Kreativitätspotential in diesem Medium ausschöpfen zu können. Beispielsweise keine Zeiteinschränkungen zu haben. Sofern ich das Mediengesetz einhalte, gibt es auch keine Zensur. Außerdem bildungsfördernd und nicht bildungshemmend arbeiten zu können und vor allem als feministische Redaktion die Möglichkeit zu haben, Frauen eine Stimme zu geben, Frauenräume eröffnen und jegliche Frauenthemen beleuchten zu können.
Michaela Schoissengeier: Der freie Zugang, die freie Meinungsäußerung und die Pluralität.
Nach dem Fall des Rundfunkmonopols des ORF in Österreich 1997 konnten sich die nichtkommerziellen Radios endlich legal um Radiolizenzen bewerben. Seitdem sind 15 Jahre vergangen.
Was hat sich in dieser Zeit verändert ?
Michaela Schoissengeier: Es gab eine massive und rasche technische Entwicklung, die die Produktion wesentlich beeinflusst und vereinfacht hat. Auch, dass es einen Zusammenschluss aller Freien Radios gab, mit gemeinsamer Lobbyarbeit und Stärkung der gemeinsamen Anliegen. Freie Radios sind inzwischen eine selbstverständliche, akzeptierte Instanz in der österreichischen Medienlandschaft.
Herbert Gnauer: Der Radiobetrieb hat sich stark professionalisiert. Am Anfang war alles sehr improvisiert. Es gab streng genommen nur einen Live-Betrieb. Zudem gab es zwar viele Services wie Chat etc. bereits, aber sie wurden erst im Laufe der Zeit als nützlich oder nutzbar begriffen. Heute fürchtet sich kein Radiomachender mehr vor einer Mailadresse. Auch war vielen zu Beginn die Bedeutung von Onlinearchivierung unklar. Die Vorteile der Haltbarmachung wurden so ab 2005 wirklich erkannt.
Barbara Huber: Zu Beginn war viel «Trial and Error» dabei, also viel Ausprobieren und Herumspielen, auch im Ausbildungsbereich. Wie unterrichtet man journalistische Formen und wie unterscheiden sich die von anderen Radios? Wesentlich ist auch der Zusammenschluss über den Verband, also dass wir auch auf nationaler und auf EU-Ebene Interessen durchsetzen und politisch aktiv sind. Zu Beginn konnten sich die Freien rühmen «Wir haben das Monopol zu Fall gebracht!». Nach 15 Jahren ist das, vor allem für die junge Generation, die mit Privat- und Internetradios aufgewachsen ist, aber kein Thema mehr. Jetzt müssen wir die Leistung auf was anderes stützen – sprich die Selbstdefinition hat sich geändert.
Herbert Gnauer: Am Anfang gab es ja nur den Anspruch, überhaupt legal Radio machen zu können. Das war natürlich ein politischer Anspruch, für manche sogar ein anarchistischer. Das war zu Beginn sicher auch schwieriger, weil man behördlich noch viel kritischer beäugt wurde. Die wussten ja nicht, wer da Radio macht und was, Stichwort subversive Codes.
Wo seht ihr bei den Freien Radios kaum oder gar ungenutztes Potential ?
Herbert Gnauer: Die Stärke liegt in ihrer Freiheit, sich die Inhalte aussuchen zu können, auch sperrige Formate machen zu können und Sachen, die nicht quotentauglich sind. Wobei ich nicht ausschließen möchte, dass es auch solches gibt, auch für eine breite HörerInnenschaft.
Michaela Schoissengeier: Die Sendegebiete sollen erweitert und alle Bundesländer mit Freien Radio versorgt werden.
Barbara Huber: Auf politischer Ebene ist das Copyright im Moment ein extrem brisantes Thema, vor allem in Bezug auf die Archivierung von Sendungen, die Musik beinhalten. Ich denke, die Freien Radios können da durchaus einen eigenen Standpunkt dazu haben, der aufzeigt, wie absurd das teilweise ist. Entwicklungspotential sehe ich auch in der Wiederstärkung des Communityaspekts. Der ist für mich ein wenig verloren gegangen. Die Identifikation der Leute damit, dass sie in diesem speziellen Medium nicht nur Radio machen können, sondern auch die Räume nutzen, sich treffen und austauschen können, am Medium selbst mitgestalten können. Das ist zu wenig vorhanden und wird kaum genutzt. Auch dass wieder mehr mit Formaten gespielt wird, dass die Inhalte flexibler gestaltbar werden und Raum für Experimente da ist.
Helga Schager: Meine Vision als Künstlerin wäre, dass die Freien Radios eine Art Labor als künstlerisches Experimentierfeld haben, als kreative Spielwiese für Wort und Ton. Und die KünstlerInnen experimentieren im Radiokunstlabor gegen Bezahlung…
Barbara Huber: Bei Orange machen wir uns auch Gedanken zum Thema Grundeinkommen, weil die Radiomachenden ja prinzipiell ehrenamtlich arbeiten. Wir können keine 400 Leute bezahlen. Darum wollen wir uns einsetzten dafür, dass Leute auch für ehrenamtliche Tätigkeiten über ein Grundeinkommen bezahlt werden.
Welche Erlebnisse oder Erfahrungen sind euch besonders in Erinnerung geblieben ?
Helga Schager: Da gibt es immer wieder wunderbare. Etwa höchst politische Menschen kennen lernen. Das FRO-Team leistet professionelle Arbeit, was den notwendigen Austausch für Sendungsabwicklung easy und angenehm macht. Wütend machen mich Rückmeldungen wie «SPACEfemFM behandelt ja nur Frauenthemen!»
Herbert Gnauer: Während der Donnerstagsdemos 2000 gab es eine Demonstration, bei der die Beteiligten aufgerufen wurden, tragbare Radiogeräte mitzubringen. Die Idee war, dass Orange den Soundtrack zur Demo liefert. Es gab natürlich auch ein etwas fetteres Soundsystem auf Lastwagen. Da gab es so lustige Situationen, dass Leute aus der Demo im Studio angerufen haben und berichteten. Über die Radiogeräte wurde das unmittelbar wieder in die Demo zurückgetragen. So wurde etwa den Polizisten mitgeteilt, was ihre Kollegen zwei Häuserblöcke weiter machen.
Barbara Huber: Das Radio ist ein Ort für Charaktere, viele unterschiedliche und interessante Charaktere über die ganze Bandbreite (lacht!). Da gibt es viele Geschichten, die man nicht vergisst.
Was wünscht ihr den Freien Radios zu ihrem 15. Geburtstag ?
Herbert Gnauer: Ich wünsche Ihnen gesicherte Finanzierungen, das ist ja nicht bei allen Freien Radiostationen so angenehm. Ich wünsche mir, dass das interessante Menschen mit interessanten Sendungsideen ihren Weg zu den Freien Radios finden, die natürlich dann auch zum Teil ihr Publikum mitbringen. Auch dass nach 20 Jahren die Verwertungsgesellschaften es endlich schaffen, ein Modell zu entwickeln, das eine nachhaltige Onlinearchivierung von Sendungen ermöglicht, so dass Sendungen mit Musikzuspielungen für die Archivierung nicht grausam verstümmelt werden müssen.
Michaela Schoissengeier: Auch mein Wunsch ist eine sichere und ausreichende Finanzierung für Freie Radios generell, aber auch für freie Radiogruppen.
Helga Schager: Ein zahlreiches Publikum, sprich HörerInnenschaft und viele SendungsmacherInnen, die ein humanitäres, fremdenfreundliches Weltbild in sich tragen und den Äther damit bereichern.
Barbara Huber: Der Mut zu Veränderung. Ich wünsche mir, dass sie nicht zu bürgerlich werden und
sich zu sehr einbetten in der doch finanziell halbwegs gesicherten Gegenwart. Sie sollen nicht einschlafen, sich nicht zu wohl fühlen, so dass ein bisschen Radikalität weitergetragen wird.
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Herbert Gnauer arbeitet seit den 90er Jahren „einschlägig“ und seit 2004 bei Orange 94,0 als „IT-Maschinist“ und Radiomachender. Er ist auch Mitglied der literadio-Redaktion.
Barbara Huber begann 2001 bei Radio FRO 105,0 MHz in diversen Funktionen und arbeitet nun nach einem längeren Auslandsaufenthalt als Ausbildungskoordinatorin bei Orange 94,0.
Helga Schager ist Künstlerin und Gründungsmitglied wie auch aktive Redakteurin des SPACEfemFM FRAUENRADIO auf Radio FRO 105,0 MHz, das seit 2000 on Air ist.
Michaela Schoissengeier ist Psychotherapeutin, Hörspielgestalterin und ebenfalls von Beginn an Teil der SPACEfemFM FRAUENRADIO-Redaktion.
Mehr zur Geschichte der Freien Radios in der aktuellen Sendereihe: FREIE WELLEN – 15 Jahre freie Radios in Österreich: Geschichte, Gegenwart und Zukunft.