Quo vadis Europa?

Ich muss zugeben, das Buch der Solidar-Werkstatt Österreich war harte Kost. Vielleicht deshalb, weil ich unmittelbar davor Robert Menasses „Der europäische Landbote“ gelesen habe und mich sein glühendes Plädoyer für die Europäische Einigung nachhaltig beeindruckt hat.

Menasse sieht in der EU die historische Chance, das konfliktreiche Zeitalter der Nationalstaaten zu überwinden und in Europa eine moderne und aufgeklärte postnationale Demokratie zu etablieren. Eine Demokratie, mit einer starken europäischen und einer starken regionalen Ebene, die den Nationalstaat überflüssig macht und vollständig ablöst. Er räumt mit gängigen Klischees über die Brüsseler Bürokratie auf und beschreibt das Ringen der supranationalen Institutionen wie Kommission und Parlament mit dem Europäischen Rat, wo die nationalen Regierungen mit ihren jeweiligen Interessen einer gesamteuropäischen Perspektive im Wege stehen. Menasse gibt keinen Pfifferling mehr auf die Problemlösungskompetenz der Regierungen in Wien, Dublin oder Lissabon und setzt seine Hoffnung auf einen rational denkenden „josephinischen“ Beamtentypus, den er bei seinen Recherchen in Brüssel allerorts angetroffen haben will. Nicht getroffen hat er jene finsteren Gestalten, die die Solidar-Werkstatt Österreich in ihrem Buch „Denn der Menschheit drohen Kriege“ hinlänglich zitiert. Eiskalte Militärstrategen, Rüstungsexperten und neoliberale Lobbyisten, die in diversen Beiräten, Kommissionen und Think-Tanks eine gänzlich andere Vision von Europa vorantreiben. Sie stehen für ein Imperium mit Weltmachtsanspruch, das Demokratie und Sozialstaat im Interesse neoliberaler Machteliten auch unter der Androhung von Gewalt beseitigt und als ein 4. Reich beim globalen Raubzug um Rohstoffe und Absatzmärkte gegen andere Imperien antritt. Ein Europa, das sich gerade anschickt, als hochgerüsteter Militärapparat einsatzbereit zu werden und sogar einen Erstschlag mit Nuklearwaffen als militärische Option nicht ausschließt. Der Autor Gerald Oberansmayr untermauert seine Kritik mit zahlreichen Statistiken und Fakten, die nur schwer wegzudiskutieren sind. Und die auch Menasse bekannt sein dürften. Trotzdem könnten die Schlussfolgerungen widersprüchlicher nicht sein. Während Menasse mehr Europa fordert plädiert die Solidar-Werkstatt für den EU-Austritt Österreichs und die Rückkehr zu einer aktiven Neutralitätspolitik. Was also tun? Am besten beide Bücher lesen und sich selbst eine Meinung bilden, denn es sind diese Fragen, die unsere Zukunft maßgeblich beeinflussen werden und nicht irgendeine Nationalratswahl in irgendeinem Land.

 

Robert Menasse: Der Europäische Landbote. Die Wut der Bürger und der Friede Europas, Zsolnay, 2012

Solidar-Werkstatt Österreich: Denn der Menschheit drohen neue Kriege. Neutralität contra EU-Großmachtswahn, guernica Verlag, 2013