Pionierinnen der Tschickbude

Pionierinnen wagen sich auf unbekanntes Terrain vor, sammeln unter extremen Bedingungen Erfahrungen und bereiten den Weg für jene, die ihnen nachfolgen. Im Falle der Initiative schtsch ist das unbekannte Terrain das Magazin I der ehemaligen Tabakfabrik. Die Pioniertat hat aber vorerst nicht geklappt. 

 

Anfang Juli waren die Räume vermessen, die Kisten gepackt, der Urlaub genommen und der Transporter wartete bereits vor der Türe. Dem Umzugstermin war ein Jahr der Vorarbeiten und der Vorfreude vorausgegangen und bis zuletzt hatten alle an den ambitionierten Zeitplan geglaubt.qujOchÖ, nomadenetappe, sege, QuPik, Very Vary Filmproductions, LIquA, Frühling 2012 und Michaela Grininger wollten als schtsch den 5. Stock der Tabakfabrik beziehen und ein Raumkonzept für eine verstärkte Nutzung synergetischer Potenziale verwirklichen. Sie sind damit Pionierinnen eines Großprojektes geworden, das das Potenzial hat, einen ganzen Stadtteil neu zu denken und zu entwickeln.

 

Auf dem Weg zur „Kreativstadt“

Nachdem die schwarzblaue Regierung die Tabakfabrik vollständig privatisiert hat, wurde die Produktion trotz guter wirtschaftlicher Zahlen 2009 eingestellt. Die Stadt kaufte daraufhin das Areal und rettete es vor weiteren privaten Investorinnen. Fertige Pläne gab es nicht, lediglich die Vorstellung, mit dem architektonisch bedeutenden Fabriksgelände aus der ehemaligen Industrie- und nunmehrigen Kulturstadt eine Kreativstadt zu machen. Die mehr als 80.000 m2 Nutzfläche sollen einen Mix aus Kreativwirtschaft, Künstlerinnen, Kulturinitiativen, Sozial- und Bildungsorganisationen beherbergen. Für die Umsetzung wurde eine GmbH gegründet, deren Aufsichtsrat aus Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaftsvertreterinnen und der JKU besteht und eine Geschäftsführung einsetzt. Zusätzlich gibt es eine Steuerungsgruppe aus Magistratsabteilungen, Geschäftsführung, künstlerischer Leitung und einem Vertreter des Architekturforum Oberösterreich, die dem Aufsichtsrat Empfehlungen gibt.

 

Von der Bespielung zur Besiedlung

Abgesehen von vereinzelten Veranstaltungen hat das Projekt aber erst mit der Bestellung von Chris Müller zum künstlerischen Leiter Anfang 2012 Fahrt aufgenommen. Innerhalb kürzester Zeit hat er das Areal geöffnet und mit rund 160 Veranstaltungen mehr als 100.000 Besucherinnen in die Tschickbude gebracht. Viele Medien feiern das Projekt bereits als neuen kulturellen Hot Spot der Stadt. Parallel zur Bespielung startete mit der Besiedlung durch Pionierinnen die nächste Entwicklungsphase. Sie ist Teil eines Konzeptes, das – basierend auf der Vorarbeit von Initiativen wie Kulturquartier Tabakwerke und der umbauwerkstatt – von Chris Müller und seinem Team entwickelt wurde. Es versteht die Tabakfabrik als offenes Labor für Kunst und Kultur, einen Raum für Experimente und „die Umsetzung politischer, gesellschaftlicher und sozioökonomischer Zukunftsmodelle.“ Berücksichtigt wird dabei das symbolische und kulturelle Kapital, weshalb ein kommerzieller Betrieb andere Mietsätze als eine Kulturinitiative zahlt. Kein Solidarbeitrag, sondern eine neue Wertigkeit, die über enge ökonomische Kriterien hinausgeht und annimmt, dass alle vom kulturellen und symbolischen Kapital in der Tabakfabrik profitieren werden. Soweit die Idee, die auch international Aufmerksamkeit erregt. Weil es sich dabei – wie Chris Müller betont – „um ein einmaliges und erstmaliges Projekt handelt“ wird den Pionierinnen viel Flexibilität und Eigeninitiative abverlangt. Dazu gehört auch, dass nicht alles auf Anhieb klappt, wie dann auch schtsch erleben musste.

 

Ein schwieriges Terrain

Die Herausforderungen liegen zum Teil in der Immobilie selbst und der Vielzahl von Vorschriften und Auflagen, die oft erst neu erarbeitet werden mussten, weil es zum Beispiel keine Betriebsfeuerwehr mehr gibt. Hinzu kommen Denkmalschutz und bauliche Mängel, die so manches erschweren oder gar verhindern. Schwierigkeiten, mit denen Pionierinnen rechnen müssen, was auch schtsch klar war. In den letzten Wochen vor dem Umzugstermin ist die Lage aber immer unübersichtlicher geworden. Mehr und mehr Details haben sich als nicht umsetzbar herausgestellt und vor allem die Umwidmung war noch nicht erfolgt. Umstände, die von der Geschäftsführung nicht gut kommuniziert wurden. Plötzlich waren Hallen versperrt und Türklinken abmontiert. Absurder Höhepunkt dann  eine Auflage für die Liftnutzung: Aus Sicherheitsgründen nur auf Anfrage im Voraus und in Begleitung einer Technikerin, für die 40 Euro pro Stunde verrechnet wird. Für Thomas Philipp von qujOchÖ unzumutbare „Regeln, die von innen, also der Geschäftsführungsseite der Tabakfabrik selbst, in die Welt gesetzt werden.“ Diese möchte sich offenbar nach allen Seiten absichern und nichts dem Zufall überlassen. Eine Herangehensweise, die sich nicht wirklich mit dem offenen und dynamischen Konzept der Tabakfabrik verträgt. Das zeigt auch der Mietvertrag, der auf 39 Seiten bis ins kleinste Detail alles regelt, inklusive Hausordnung und Radfahren. Ohne Anwalt nicht zu verstehen und deshalb unpraktikabel für kleine Kulturinitiativen. Überhaupt scheint das Tempo der Entwicklung Teile der Struktur zu überfordern. Als die Geschäftsführung eingesetzt wurde, ging es vor allem darum, die Gebäude instandzuhalten und temporär zugänglich zu machen. Mehr Verwaltung als Gestaltung. Spätestens mit dem Übergang zur Besiedlung haben sich die Anforderungen aber grundlegend geändert. Chris Müller und sein engagiertes Team beiße sich „an behördlichen und bürokratischen Schranken die Zähne aus“, resümiert Thomas Philipp. Es brauche dringend „mehr Kompetenz in geschäftlichen und organisatorischen Belangen, dazu mehr Geld für die konkrete Ansiedlung und zusätzliche fachliche Unterstützung von Leuten, die Erfahrung mit der Entwicklung einer derartigen Immobilie haben.“ Die vielen Unklarheiten haben schtsch schließlich zur Absage des Umzugs bewogen.

 

Erste Siedlungserfolge

Thomas Diesenreiter – in der Tabakfabrik für die Konzept- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig – ist trotzdem optimistisch: „Bei der Ansiedlung haben wir wohl noch nicht die nötigen Ressourcen, um alles so glatt hinzukriegen, wie wir es uns selbst wünschen. Aber das wird sich in naher Zukunft auf jeden Fall verbessern.“ Zumal es ja auch schon Erfolgsmeldungen gibt. Denn im neuen – nicht denkmalgeschützten – Teil der Tabakfabrik sind mit Hannes Langeder, Creative Region Linz & Upper Austria, Ars Electronica Solutions, RedSapata und LoungeFM bereits die ersten Pionierinnen eingezogen. Für Tanja Brandmayr von RedSapata eine „sehr, sehr positive“ Entwicklung, wenngleich der Weg auch für sie schwierig war. Es stehe „auf der einen Seite der Wunsch nach kultureller (Pionier)Nutzung, auf der anderen Seite die GmbH, die Geld reinholen soll. Vor diesem Widerspruch sind wir in den Gesprächen oft gestanden.“ Denn eigentlich sollte RedSapata 800m2 bekommen, das Geld reichte dann aber nur für ein Viertel. Für die Geschäftsführung Grund genug über das Einziehen einer Trennwand in der Halle nachzudenken. Das symbolische Kapital zählt in diesem Fall noch nicht.

 

Potenzial für Großes

Trotz der Schwierigkeiten der Pionierphase ist die Entwicklung aber insgesamt sehr erfreulich. Chris Müller ist ein echter Glücksgriff für das Projekt, Aufsichtsrat und Politik stehen hinter dem ambitionierten Konzept und die Besiedlung geht weiter. Ab 1. Jänner 2013 soll die Stiege A von Any:time, sit_designbureau, DCNTRL Kommunikationsnetzwerk, ArGe Marie, einverstanden, Linzukunft und Archipicture bezogen werden. Auch hat der Gemeinderat die Gelder für den Umbau des Bau 2 freigegeben, in den mehrere Firmen wie z.B. Netural einziehen sollen. Müller und Diesenreiter sind überzeugt, dass auch der Einzug von schtsch bald gelingen wird: „Wir brauchen Ressourcen, Zeit, und das Vertrauen unserer Pionierinnen und der Politik. Wir arbeiten seit Wochen daran, unseren Bewegungsspielraum zu erweitern, und sind dabei auf einem guten Weg.“ Wichtig sei nun, dass viele Menschen das Konzept beim Wort nehmen und mit konkreten Ideen in die Tabakfabrik kommen. Und sie als das verstehen was sie ist: ein Pionierinnenprojekt mit allen Chancen und Hindernissen. Ein Projekt mit dem Potenzial etwas ganz Großes zu werden. Im März dieses Jahres wurde der Peter Behrens-Platz umgewidmet und ist nun erstmals seit 160 Jahren ein öffentlicher Platz. Das sagt eigentlich schon viel.

http://www.tabakfabrik-linz.at