Gedankensplitter zu prekarisierten Lebensverhältnissen, bunten Paraden und Selbstschutz-Stechuhren.
Willkommen postmoderne Kontrollgesellschaft, Ahoí Unternehmens-Regime! Weg vom analogen, fordistischen Arbeitsmodell bewegt sich Arbeit heute in Richtung allumfassender Produktion, in der das Leben in seiner Gesamtheit mehr und mehr in Verwertungszusammenhängen eingebunden ist.
Im ‚Allroundunternehmen Lebensproduktion’ werden nicht nur materielle Erzeugnisse mittels Arbeitskraft gefertigt – die Art der Ware und deren Produktion verändern sich. Gehandelt wird heute auch Ungegenständliches wie Information, Kommunikation, Affekte und Kreativität – also Produkte, die auf geistigem Wege geschaffen werden. Dadurch wird die Gesamtheit von Gesellschaft, Politik und Ökonomie beeinflusst, durch die Veränderung zeitlicher und familiärer Strukturen entsteht eine völlig neue Sozialstruktur.
Die neuen Arbeitsformen sind aufgrund ihrer uneingeschränkten Wirkung auf unseren Alltag oft von Selbstausbeutung gekennzeichnet, entsprechend erfolgt ein Teil des Geleisteten in der ‚Freizeit’ und unter nicht vergütetem Zeit- und Ressourcenaufwand. Sie eröffnen jedoch gleichermaßen Möglichkeiten, subversive Methoden zu kreieren. Denn ebenso wie Schlüsselqualifikationen des Kapitalismus – wie Flexibilität, Teamfähigkeit, hohe Belastbarkeit, das selbstverständliche Anwenden von Vernetzungstechniken unter Einbeziehung von privaten Kontakten und Wissenskapital – vom neoliberalen System annektiert und verwertet werden, können diese wechselseitig auch persönlich und emanzipatorisch genutzt werden.
Oben beschriebener Wandel lässt eine kritische Reflexion des klassisch dichotomen Arbeitsbegriffs – zwischen gesellschaftlich anerkannter Normallohnarbeit und Tätigkeiten, die nicht als solche angesehen werden, notwendig erscheinen. Eine Änderung dieser Normvorstellung von produktiver Arbeit würde vielerorts zu neuen Ansatzpunkten für widerständisches Denken und Handeln führen, um sich von den Zwängen des Kapitals zu befreien. Da eine solche Kategorisierung ebenfalls Geschlechterdifferenz mitproduziert und zu ihrer Aufrechterhaltung beiträgt, beinhaltet deren Hinterfragung auch feministische Potenzen.
Einhergehend damit ist auch das Entstehen einer neuen Arbeiterinnenschaft zu erkennen, die zunehmend mit einer, alle Lebensbereiche umfassenden Prekarisierung zu kämpfen hat.
Vor allem die soziale und kulturelle Arbeit zeichnet sich durch prekäre Verhältnisse, Ausbeutung, ein hohes Maß an Mobilität sowie ständige Eigenmotivation, Identifikation mit der eigenen Arbeitstätigkeit und Selbstorganisation aus. Daher fungieren Kulturarbeiterinnen und gesellschaftliche Arbeiterinnen zunehmend als Avantgarde in der Entwicklung von neuen Arbeitsmodellen in prekarisierten Verhältnissen. Denn eben diese neue Subjektivität der Arbeiterinnenfigur aus Branchen wie Gesundheitsdienst, Sexarbeit, Unterhaltungs- Kunst- und Kulturindustrie sowie Spracharbeit, Erziehung, Gastronomie oder Sozialarbeit, die verantwortlich zeichnet für die Produktion von Wohlbefinden, Spannung, Euphorie, Zugehörigkeit, etc., sieht sich immer öfter den Machttechnologien des Neoliberalismus ausgesetzt. Diese zielen darauf ab, soziale Risiken zu individualisieren und vormalige Schutzrechte abzubauen – also auf eine weitgehende Auflösung des Wohlfahrtsstaates.
Prekäre Beschäftigungsverhältnisse sind keine Ausnahme mehr, längst ist die institutionalisierte Unsicherheit internalisiert. Dieser Umstand führt auch zu tiefgreifenden Auswirkungen auf die eigene Lebensrealität und die menschliche Interaktion. Um sich ‚über Wasser’ zu halten, werden Jobs auf Werkvertragsbasis angenommen, bei denen ‚unproduktive’ Zeitspannen nicht mehr abgesichert sind, Beschäftigungsgefüge mit wenig bis keinen Garantien bezüglich Dauer und sozialer wie medizinischer Absicherung hingenommen. Nach Studium oder Berufsausbildung werden oft un(ter)bezahlte Praktika[1] absolviert – nicht um zu lernen oder Erfahrungen zu sammeln, sondern um als hoch qualifizierte Billigstarbeitskraft in unbefriedigenden Tätigkeitsfeldern zu schuften, immer in der Hoffnung auf eine Fixanstellung.
Zunehmende Prekarisierung wirkt sich auch auf jene aus, die noch das ‚Privileg’ einer ‚sicheren’ Anstellung genießen – sie sind es, deren Furcht vor potentieller Ersetzbarkeit systematisch ausgenutzt wird, um sie zur Akzeptanz von schärferen Ausbeutungsverhältnissen zu bewegen. Zudem wird dadurch auch vermehrtes Konkurrenzverhalten geschürt, welches seinerseits wiederum zu Selbstausbeutung führt.
Es werden jedoch Möglichkeiten wahrgenommen, sich dieser Ordnung entgegenzusetzen, ja diese sogar zu nutzen, um neue Räume der sozialen Vermischung entstehen zu lassen, um Ausschlüssen sowie Konkurrenz entgegenwirken zu können. Hierfür müssten alle potentiell Prekarisierten gemeinsam auf transversaler Ebene – eben der, auf welcher auch die Prekarisierungspolitik wirkt – gegen die Kräfte derselben angehen, vereint in einer hybriden Allianz all jener, die sich gegen eine solche Ausbeutung formieren. Kein leichtes Unterfangen, beschreibt das Prekariat doch eine enorme Mannigfaltigkeit an Lebensrealitäten mit unterschiedlichsten Begehren. Diese können nämlich keinesfalls auf eine ‚Klasse’ reduziert werden, wie vormals das ‚Proletariat’. Das macht es schwierig, den bestehenden Zusammenhängen von Arbeit, Normen und Hierarchien im Hinblick auf Alle Gestalt zu verleihen, um sie fassen und aushebeln zu können.
Als Versuch kann etwa die global agierende Mayday-Parade[2] gesehen werden, die in immer mehr Ländern den traditionellen Arbeiterinnenkampftag mit neuen Inhalten besetzt. Selbstorganisiert wird lautstark und mit beträchtlichem Radius auf die Missstände eines prekarisierten Lebens aufmerksam gemacht, ohne in Selbstviktimisierung zu zerfließen. Die Straße wird während der Parade am ersten Mai zur Bühne für politische Aktivistinnen und Künstlerinnen, für Migrantinnen, Sans-Papiers und prekär Beschäftigte, aber auch für besorgte Arbeiterinnen und Angestellte, die (noch) in einem abgesicherten Vertragsverhältnis stehen. Motiv ist unter anderem, allen Betroffenen eine öffentliche Plattform zu bieten, um gemeinsam soziale Rechte einzufordern.
Die Grenze zwischen Arbeits- und Freizeit verschwimmt im System verbetrieblichten Lebens – oftmals wird es im vorherrschenden Modus schwer bis unmöglich, ein Maß für adäquate Entlohnung zu finden, denn: „Auf dem Feld biopolitischer Produktion gibt es keine Stechuhren“ (Hardt/Negri 2002). Es gilt, eine Form von ‚Widerstandsrhizom’ zu etablieren, in dem experimentell neue Denk- und Handlungsräume geschaffen werden können, um gegen das Kontrollsystem anzugehen. Verinnerlichte Selbstausbeutungsmechanismen und solche, die das Kontinuum unseres Alltags betreffen, könnten so eventuell erkannt und dekonstruiert werden. Zu reflektieren ist auch der Stellenwert, den wir der Arbeit beimessen und ebenso das Maß an Lebenszeit, die wir dafür aufwenden. Nicht nur auf das Recht auf Arbeit ist zu pochen, sondern auch auf das „Recht auf Faulheit“ (Lafargue 1883), da Erholung und Müßiggang wichtige Bausteine für die Freiheit im menschlichen Dasein darstellen. Um in Zeiten von Crosstasking und Hyperworkload nicht wie viele in die Burnoutfalle zu tappen, erscheint es daher wichtig, eine Art innere Selbstschutz-Stechuhr zu imaginieren, die uns den Verbrauch unserer persönlichen Kapazitäten veranschaulicht, um diese eigenverantwortlich einsetzen zu können.
[1] Um ein Zeichen gegen die fortschreitende Prekarisierung im Kunst- und Kulturbereich zu setzen hat sich ‚die Kupf’ übrigens dazu entschlossen, un(ter)bezahlten Praktikumsstellen nicht mehr über ihre Kulturjobs-Mailingliste zu versenden.
[2] Dieses Jahr hat es auch Mayday-Paraden in Linz und Wien gegeben