Grenzen (ver)setzen im Umgang mit Neuen Medien

MAIZ-Mitarbeiterinnen im Gespräch mit Pamela Neuwirth über das Forschungsprogramm Selfdefence-IT.

maiz — Zentrum von und für Migrantinnen in Linz startet im März Workshops und Lernprogramme zum Motto „Grenzen (ver)setzen im Umgang mit Neuen Medien“. Diese beruhen auf dem Forschungsprogramm Selfdefence-IT. Was dahinter steht, hat Pamela Neuwirth für die kupf bei maiz erfragt.

KUPF: Im Rahmen des EU-Projektes Self-defenceIT untersucht MAIZ das Nutzerverhalten von Migrantinnen mit Neuen Medien. Welche Ziele verfolgt MAIZ mit dieser Erhebung?

maiz: Self-defenceIT ist ein Aktionsforschungsprojekt von und für Migrantinnen zur Selbst-Ermächtigung im kritischen und selbstbewussten Auftreten gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie. Basierend auf die Ergebnisse von Gruppeninterviews wurden in Zusammenarbeit mit internationalen und lokalen Partnerorganisationen Maßnahmen entwickelt. Durch Beratung, Workshops und Lernprogramme will maiz die medien-pädagogischen Kompetenzen von Migrantinnen fördern und das Bewusstsein hinsichtlich der Gefahren und Chancen, die mit der Nutzung von Neuen Medien verbunden sind, stärken. Ziel ist die Stärkung des Selbstvertrauens von Migrantinnen und die Förderung von Kollektivierungsprozessen, wenn es um das Auftreten gegen Gewalt in Zusammenhang mit Neuen Medien geht. Auch der bewussten Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen, die sich durch die zunehmende Wissenskluft zwischen den Generationen verändern können, soll im Rahmen dieser Maßnahmen Raum geboten werden. Langfristig soll Self-defenceIT die durch Rassismus und Gewalt bedingte soziale Exklusion von jugendlichen Migrantinnen und ihren Eltern (besonders Frauen) verringern und ihre gesellschaftliche Teilhabe verbessern.

KUPF: Das Internet in Österreich gibt es nun schon 20 Jahre. Wenn wir gleich beim Thema Internet bleiben: Wie sieht das Nutzerverhalten im Internet bei den Befragten aus? Welche Risiken und Chancen sind damit verbunden?

maiz: In den Gruppeninterviews haben uns die Migrantinnen sehr viel über ihr Wissen rund um die Neuen Medien erzählt. Sie nutzen dieses Wissen, um ihre Kinder zu unterstützen und zu begleiten. Sie halten durch das Internet transnationale Kontakte zu Familienmitgliedern und Freundinnen und treffen mit den Jugendlichen und Kindern Vereinbarungen über Inhalte und Nutzungsdauer. Der Zugang zu Neuen Medien hat Machtverhältnisse in den Beziehungen der Frauen verändert oder reproduziert. In ihrem beruflichen Umfeld spielen Neue Medien eine geringe

Rolle, doch auch wenn sie die technologischen Möglichkeiten nicht ausschöpfen, wissen sie viel darüber und beschäftigen sich damit. Zuhause tragen die Frauen oft allein die Verantwortung für den Schutz der Kinder und der Familie vor schlechten Erfahrungen in Zusammenhang mit ICTs (Anm: Information and Computing Technologies). Es besteht häufig die Anforderung, dass Neue Medien zielgerichtet genutzt werden müssen, dh. die Benützung der Neuen Medien ist dann gerechtfertigt, wenn sie mit Schule, Arbeit, Arbeitssuche, Kontakt mit der Familie in Zusammenhang steht. Das kreative und partizipative Potenzial der ICTs, der unterhaltende Charakter und der lustvolle Umgang wird nicht berücksichtigt.

KUPF: Ihr habt sowohl Frauen als auch Jugendliche befragt. Nun kursieren Bilder (Narrative) von den sogenannten Migrantinnen im Netz. DIE Migrantin gibt es aber nicht. Wie stehen die Befragten zu den Rollen und Klischees, die ihnen von und in Medien zugeschrieben werden?

maiz: Die Jugendlichen haben über rassistische Berichterstattung über Migrantinnen in (alten) Medien gesprochen. Die Reflexion über die persönliche Situation steht zwar im Mittelpunkt. Trotzdem wird über das Kollektiv der Migrantinnen gesprochen. Die Position ist eingebettet in die Idee, dass diese Situation ungerecht ist und zwar gegenüber der gesamten Gruppe. Ein Kollektiv als Adressat von Ungerechtigkeit, aber kein Kollektiv, das dagegen auftritt: „Alleine kann ich nichts machen.“ Die Medien sind nicht Teil des Kollektivs. Die „Neuen Medien“ werden nicht als Verbündete gegen die Ungerechtigkeit und nicht als Opposition gegen die „Alten Medien“ gesehen. Sie werden nicht als Protestmedium oder als partizipative Chance wahrgenommen. Den alten Medien wird eine hierarchische Position in der öffentlichen Gestaltungsmacht zugesprochen.

KUPF: Soziale Netzwerke sind einerseits eine Möglichkeit weltweit Kontakte zu pflegen; andererseits gibt es z.B. Probleme mit der Datensicherheit. Stichwort Medienkompetenz: Wie unterschiedlich gehen Erwachsene und Jugendlichen mit diesen Themen um?

maiz: Die Jugendlichen machen regelmäßig bei Medienkooperativen in den Familien mit. Neue Medien ermöglichen soziale Ereignisse innerhalb der Familie. Oft geht es um die gemeinsame Unterhaltung mit kleinen Geschwistern. Ausschlaggebend ist dafür die Position der Jugendlichen als ältere Geschwister und die Beziehungen in der Familie. Aber es geht auch um die Eltern, die zwar die Neuen Medien aus einer Reihe von Gründen nutzen wollen, aber die technischen Kompetenzen und zeitlichen Ressourcen für die Auseinandersetzung nicht haben. Die Jugendlichen tragen wesentlich dazu bei, dass die Eltern, mit denen sie gemeinsam wohnen, die vorhandenen technischen Möglichkeiten nutzen können. Es findet also eine Ressourcenteilung statt, die von der Bereitschaft der Jugendlichen abhängig ist und Dynamik in der Familie reproduziert.

KUPF: Wie verarbeitet MAIZ die Daten, was sind bisherige Resultate und wie geht es weiter mit Selfdefence- IT?

maiz: Neben der technischen Begleitung der Migrantinnen, ist es die Aufgabe das vorhandene Wissen sichtbar zu machen, um darin kollektive Handlungsmöglichkeiten zu erkennen. Auch geht es um das Ausloten der partizipativen Möglichkeiten und die Entwicklung von Strategien und „Guerilla-Taktiken“ gegen rechtliche, rassistische und patriarchale Gewalten. Relevant im Sinne der Aktionsforschung ist, dass die Ergebnisse an die Befragten zurückfließen. Ausgehend von diesen Forschungsergebnissen wurden Workshops und Lernprogramme entwickelt und die Erkenntnisse aus der Beratungs- und Workshoparbeit werden in die Forschungsarbeit einfließen.

Die KUPF bedankt sich beim Self-defenceIT-Team von maiz: Assimina Gouma, Kim Carrington und Sandra Hochholzer.

 

 

 

 

Informationen über die Self-defenceIT Beratung & Workshopreihe: maiz.at