Ljubomir Bratić: Politischer Antirassismus.

Vina Yun hat das neue Buch des Wiener Philosphen und Publizisten Ljubomir Bratic gelesen

Was Rassismus ist, scheint auf den ersten Blick recht eindeutig – nicht zuletzt gibt es einen regelrechten Turm an Fachliteratur zum Thema. Ungleich schwieriger zu beantworten ist hingegen die Frage, was Antirassismus auszeichnet. Nicht nur aus diesem Grund ist das jüngste Buch des Wiener Philosophen und Publizisten Ljubomir Bratić mit dem Titel „Politischer Antirassismus. Selbstorganisation, Historisierung als Strategie und diskursive Interventionen“ ein willkommener Beitrag, um diese beträchtliche Lücke zu verringern.

In den Artikeln und Buchbeiträgen, die Bratić für den vorliegenden Band aus zehn Jahren Publikationstätigkeit ausgewählt und zusammengestellt hat, diskutiert der Autor nicht nur einige wesentliche Grundlagen für die Auseinandersetzung mit den Bedingungen und Perspektiven antirassistischer Strategien im österreichischen Kontext. Ebenso wirft Bratić einen historischen Blick auf bisherige politische Kämpfe von Migrantinnen in Österreich und zeichnet darüber hinaus diverse Konfliktlinien innerhalb der hiesigen antirassistischen Bewegung nach. Ljubomir Bratić versteht die gefeatureten Texte zudem als kritische Intervention in dominante Diskurse – also dort, „wo das Denken über die Praxis ihre Wirkungen entfaltet“ – wie etwa in der ewigen Rede von der „Integration“.

Eine Feststellung ist hierbei so zentral wie simpel: „Antirassismus ist eine Arbeit an der Veränderung der Strukturen der Gesellschaft. Dies macht ihn politisch.“ Oder anders formuliert: „Ein Antirassismus, der nicht politisch ist, ist kein Antirassismus.“ In diesem Sinne grenzt sich der Politische Antirassismus, wie er während der letzten beiden Jahrzehnte in der hiesigen Linken debattiert wurde, auch bewusst vom Toleranz-Diskurs im Mainstream ab, denn: „Antirassismus beginnt und endet dort, wo der ‚ausländische Freund‘ als politisches Subjekt keine Hilfe mehr braucht und brauchen muss, weil er – ausgestattet mit Machtinstrumenten – seine ihm zustehenden Rechte einfordern, und noch wichtiger, verteidigen kann.“ Die Selbstorganisierung von Migrantinnen, im Sinne der „Vergrößerung ihrer politischen Handlungspotenziale“ und als Bestandteil sozialer Kämpfe im Nationalstaat, bildet dabei ebenso ein tragendes Moment wie die Bildung Gruppen übergreifender Allianzen. Letztere beinhalten auch die Herstellung und Ausfechtung von Konflikten zwischen Mehrheitsangehörigen und Migrantinnen – im Gegensatz zum viel beschworenen „Dialog“, der lediglich bestehende Hierarchien verschleiert und zugleich zementiert.

Politischer Antirassismus bedeutet also mehr als individuelle Nachbarschaftshilfe: Er hat das Ganze im Blick – nämlich die „gesellschaftlich vorgegebene Ordnung“, deren Normalität es zu zerschlagen und neu aufzubauen gilt. Vor diesem Hintergrund beherbergen scheinbar selbstverständliche, universalistische Forderungen wie „Gleiche Rechte für Alle!“ eine nach wie vor gültige Sprengkraft, die weit über die Partikularinteressen einzelner Gruppierungen hinausreicht.

 

Ljubomir Bratić: Politischer Antirassismus. Selbstorganisation, Historisierung als Strategie und diskursive Interventionen.
Löcker Verlag 2010