Lässt sich über Kulturpolitik zu Zeiten ihrer Selbstauflösung diskutieren? Und wenn uns die Gegenwart entgleitet, wer gestaltet die Zukunft für Kunst, Kultur und Medien? Vom Risiko eines Versuchs, dessen Unterlassung noch größere Risken in sich birgt. Von Martin Wassermair.
Ein publizistisches Wahrnehmungserlebnis der besonderen Art: Die unter Intellektuellen und Kulturinteressierten stets mit gemischten Gefühlen gelesene Stadtzeitung FALTER veröffentlichte wenige Tage vor der Nationalratswahl einen Kommentar ihres Feuilletonchefs zur Frage, ob die „kulturpolitische Abstinenz“ im Wahlkampf überhaupt zu beklagen sei. Ohne große Umschweife war von Klaus Nüchtern da zu lesen: „Dass Preissenkung und Pensionsvorsorge, Arbeitsplatzsicherung und Alterspflege einen wichtigeren Stellenwert einnehmen, versteht sich von selbst.“Gleich daneben meldet sich Barbara Tóth zu Wort. Mit einem Beitrag zur Diskussion um Werner Faymanns Kanzlerqualitäten. Darin verleiht die Redakteurin aus dem Ressort Innenpolitik ihrer Überzeugung Ausdruck, dass über plakative Slogans hinaus vor allem auch kulturpolitische Programmansagen dringend geboten wären: „Über vieles hätte ein Sozialdemokrat in seiner Position in diesem Wahlkampf sprechen können. Über die Bedeutung einer Gesamtschulreform für die Wissensgesellschaft Österreichs etwa.“
Die Welt steht Kopf, und das Beziehungsgeflecht von Kultur und Politik verabschiedet sich nicht bloß im Blätterwald von allzu vertrauten Konventionen. „Kulturpolitik. Zukunft ohne Gegenwart?“ fragte daher eine Diskussionsveranstaltung, zu der die Kulturplattform OÖ gemeinsam mit dem „Offenen Forum Freie Szene Linz“ und dem Kulturrat Österreich am 22. September 2008 geladen hatte. Der Abend machte es sich zur Aufgabe, zentralen Aspekten und Widersprüchen zeitgenössischer Trends nachzuspüren, in deren Sog kritische Kunst und politische Kulturarbeit zunehmend den Boden unter den Füßen verlieren. Wie definiert sich kulturpolitische Gestaltung angesichts einer globalisierten Kulturindustrie? Dient Kunst nur mehr noch dem urbanen Entertainment sowie dem städtetouristischen Wettbewerb? Und noch wichtiger: Wer hält mit neuen Strategien dagegen?
Das schon im Frühjahr erschienene Buch „Kampfzonen in Kunst und Medien“ hat der Debatte wichtige Anstöße geboten – nicht zuletzt durch den Nachweis, dass die Herausbildung bedeutsamer gesellschaftlicher Entwicklungen von der Destabilisierung einer entlang von Grundsätzen profilierten Kulturpolitik begleitet wird. So wird der Begriff „Kultur“ mittlerweile auch in Österreich von einem rechtsnationalen Diskurs diktiert, der schon seit geraumer Zeit auf rot-weiß-rote Identität einschwört. Neueren Ursprungs ist hingegen die Warnung vor dem „Kulturdelikt „. Fremden wird eine Abweichung von kulturellen Leitnormen unterstellt, der mit dem Strafrecht alleine nicht mehr beizukommen sei. Hinzu kommt die Zurückdrängung der öffentlichen Sphäre, die der Überwachung und dem Primat der ökonomischen Verwertung weichen muss. Und auch in der Kunst wird gefördert, wer sich wohl verhält und von wirtschaftlichem Nutzen ist.
Vor diesem Hintergrund verlangte Wolfgang Zinggl, Kultursprecher der Grünen im Nationalrat, am Podium mehr Bewusstsein für eine „Kulturpolitik als Feld des Parlamentarismus und des Politischen“. Ein einsamer Rufer in der Wüste? Zinggl betonte: „In der kulturpolitischen Auseinandersetzung sehe ich mich zunehmend alleine!“ Von Irritation und Konzeptlosigkeit „in der Arbeiterbewegung „ sprach Christian Denkmaier, Landesgeschäftsführer der oberösterreichischen SPÖ. Die neuen Zeiten verlangten jedenfalls neue Formen der Kunst- und Kulturvermittlung, weshalb die Sozialdemokratie mehr darauf achten müsse, dass die „Zuschauer der globalen Veränderungsprozesse eine Rolle der aktiven Teilnahme an diesen Prozessen erhalten“. Der Linzer Kulturstadtrat Erich Watzl hatte als Vertreter der ÖVP dafür auch gebrauchsfertige Rezepturen bei der Hand: „Wir müssen wieder ehrlicher diskutieren, Barrieren abbauen und die Strukturen für Beteiligung schaffen!“ Was soll uns daran glauben machen, wenn schon bisher all diese Versprechungen leere Phrasen geblieben sind? Dazu Watzl: „Kulturpolitik hat Zukunft!“
An Betty Wimmer war es schließlich, als KUPF-Vorsitzende und Interessenvertreterin der Kulturinitiativen die Konfrontation mit der Männerriege aus Koalition und Opposition aufzunehmen. „Alle gesellschaftlichen Bereiche sind im Abwehrkampf“, ruft ihr Christian Denkmaier von der Seite entgegen. „Auch der Sport!“ Was also tun gegen prekäre Beschäftigung, von der kaum jemand leben kann, was tun gegen Leistungs- und Quotenzwänge, die auch Kunst, Kultur und Medien bereits in bedrohlichem Ausmaß den Atem rauben. „Die Politik hat für eine Verbesserung der Rahmenbedingen zu sorgen“, wurde aus dem Publikum eingewandt. Bleibt nur mehr noch die Frage: Ist da jemand?
Martin Wassermair ist Historiker und Vorstandsmitglied im Kulturrat Österreich http://www.wassermair.net“
Buchtipp: Konrad Becker, Martin Wassermair (Hrsg.), Kampfzonen in Kunst und Medien. Texte zur Zukunft der Kulturpolitik, Löcker Verlag (2008)