Martin Wassermair war auf Schloss Orth, der dortige Teil der Landesaustellung hat ihm nicht so gut gefallen.
Mit der Landesausstellung 2008 verliert Oberösterreich nicht allzu viele Worte. Nach Auffassung des Regionalmarketings spricht das „Salzkammergut“ als Dachmarke für sich selbst. Als Erzählung von einem Wunderland, in dem Tradition und Eintracht Jahrhunderte überdauern – und bei deren Inszenierung vor allem Geld keine Rolle spielt. Ein Augenschein der Sprachlosigkeit im Schloss Orth.
„Brot und Salz, Gott erhalt’s.“ Schon der Eingangsbereich vermerkt sehr deutlich, dass für das Dasein auf Erden eine himmlische Ordnung anzurufen ist. Einer mehr diesseitigen Ordnung sei es gedankt, dass das „Camergut des Salzes“ zu Beginn der Neuzeit überhaupt Beachtung finden konnte. Die Gewinne des Hauses Habsburg erzielten schon damals beachtliche Dimensionen. Wenig verwunderlich also, dass Josef II. 1783 alle Kammergüter zu staatlichem Besitz erklärte. Der Kapitalismus erreichte seine erste Hochform, schickte geschundene Gestalten in lichtarme Stollen und ließ mit dem Salz vor allem auch satte Profite zu Tage fördern. Wer Gott und die Knute der Autoritäten fürchtet, nimmt das Elend oft stillschweigend auf die Schultern. Die Landesausstellung zwingt einen allerdings in die Knie, um einen ungefähren Eindruck von den Lebensrealitäten zu erhalten. Die „Last der Füderlträger“, so gibt der Kinderlehrpfad auf halber Höhe Auskunft, habe angesichts der 60 Kilogramm schweren Gefäße tatsächlich große körperliche Anstrengungen erforderlich gemacht. Wie lange ist das auszuhalten? Wird da das Aufbegehren nicht nachgerade unausweichlich?
Doch soziale Kämpfe sind auf der Kurzstrecke des Sachkundeunterrichts nicht vorgesehen. Das Weltverständnis der Landesausstellung sucht seine Erfüllung offenkundig in der metaphysischen Deutung von Kuriositätensammlungen. Da zeugt ein überdimensionaler Schild von der Allgegenwart der k.k. Forstverwaltung, begleitet von einer Aneinanderreihung ihrer Kontexte entrissener Sinnsprüche, die von Generation zu Generation weiter getragen werden: „Drei Finger im Salzfass ist der Bauern Wappen.“ Mehr Klarsicht schaffen die wuchtigen Portraits des jungen Kaisers Franz Joseph und seiner Gemahlin Sissi. Um auch räumlich entsprechend dick aufzutragen, hat das Linzer Landesmuseum einen prunkvollen Fauteuil bereit gestellt. Nicht mitgeliefert wurde jedoch eine Beleuchtung oder gar Vermittlung historischer Zusammenhänge. Vielleicht soll die Leihgabe auch gleich die Frage für unzulässig erklären, ob derartige Insignien der Herrschaft als Symbole der Unterdrückung gelesen werden müssen. Stattdessen kommen die Besucher und Besucherinnen in den Anschauungsgenuss von historischen Utensilien zur Besteigung hoher Berge, von Skiern und Gehstöcken, von Sonnenschirmen und Regenschirmen. Die Landesausstellung hat keine Mühen gescheut, detailgetreue Hotelzimmer für die Sommerfrische einzurichten – in den Hauptrollen ein Waschkrug und ein Handtuchhalter.
Im Salzkammergut ist man schließlich gern zu Gast. So beschwört es die Leitausstellung im Schloss Orth, weil es ja auch Franz Joseph I. schon zu schätzen wusste. Er verbrachte von den 86 Sommern seines Lebens genau drei nicht in der Idylle der Seenlandschaft. 1878, 1915 und 1916. Wolken über der Region? Der Himmel verdunkelt sich allerdings nicht mit dem Hinweis, dass die kriegerische Expansion des Kaiserhauses 1878 nach Bosnien und Herzegowina griff. Deren gewaltvolle Besetzung legte einen entscheidenden Grundstein für das Attentat in Sarajevo und damit für das große Morden des Ersten Weltkriegs, der 1915 und 1916 bereits Millionen in den Tod der Schlachtfelder Europas marschieren ließ. Die Zeitläufte kennen kein Erbarmen. Die Landesausstellung 2008 ist jedoch um ein unaufgeregtes Augenmaß in der Abbildung bemüht. Die „politische Katastrophe des NS“ titelt der Eintritt in das finsterste Kapitel des 20. Jahrhunderts, nach dem Erinnern an das Konzentrationslager Ebensee sucht man allerdings vergeblich. Die Schautafeln bringen dann schon eher die bis heute weit verbreitete Fassungslosigkeit zum Ausdruck, warum die Anpassungsbereitschaft der vielen Jüdinnen und Juden, die in der Sommerfrische des Salzkammerguts Ruhe und Ausgleich finden wollten, nicht auf das Wohlwollen der ortsansässigen Bevölkerung gestoßen sind. Dabei lässt sich mit reichlichem Dokumentationsmaterial belegen: „Sie waren nicht zu unterscheiden, passten sich in Kleidung und Wohnstil den regionalen Gegebenheiten an.“
Theodor Billroth, Gustav Klimt, Fritz Löhner-Beda, Arnold Schönberg. In Lederhosen sollten sie doch gerne gelitten sein. Ob die Größen des österreichischen Kultur- und Geisteslebens je auch eine Waffe gegen Schützenscheiben gerichtet haben, die nun mit skurrilen Titeln in den heimatkundlichen Schauräumen zu bestaunen sind? „Frau mit Hut“ weist jedenfalls eine große Menge Einschusslöcher auf – und weckt Assoziationen an ein Psychogramm, das tief in das verstörte Innere einer traditionsreichen Region blicken lässt. Doch die Landesausstellung weicht nicht vom Kurs ab und erzählt im Schloss Orth beschwingt von Vogelfängern und Wilderern, von Hutträgern und Fetzenleuten. Das Salzkammergut ist die vielfältigste und lebendigste Brauchtumslandschaft Österreichs. „Wer verliert da noch allzu viele Worte?“
Martin Wassermair ist Historiker und Vorstandsmitglied im Kulturrat Österreich http://www.wassermair.net