Musik als soziales Experiment

Andreas Bahcetepe hat einen Blick auf 35 Jahre Jazzatelier Ulrichsberg geworfen und Fragen gestellt.

Das Jazzatelier Ulrichsberg erreicht heuer das methusalemische Kulturinitiativen-Alter von 35 Jahren. Mit dem jährlichen Kaleidophon-Festival setzt es mindestens europaweit eine unverwechselbare Duftmarke. Andreas Bahcetepe hinterfragt bei Jazzatelier-Mastermind Alois Fischer die Ursprünge moderner oö. Kulturarbeit, ihre Wurzeln und ihre Perspektiven.

Andreas Bahcetepe: Die Kupf schiss gerade in ihre ersten Windeln, als das Jazzatelier Ulrichsberg bereits heftftig pubertierte und das Stadium schon hinter sich hatte, als ihm von einer Bürgerinitiative „unkultiviertes Benehmen und Verhalten“ vorgeworfen wurde, während der örtliche Pfarrer es als „Geschwür“ bezeichnete, „das man aufmachen sollte, damit der Eiter herauskann“. Die Bürgerinitiative wird’s ja nicht mehr geben, aber wie ist heute, im Alter von 35 Jahren, das Verhältnis des Jazzateliers zu den beiden Institutionen Kupf und Kirche?

Alois Fischer: Das Verhältnis zur Kupf ist rasch erklärt: Es ist eines zwischen Mitglied und Interessensvertretung – nicht mehr und nicht weniger. Und: Das ist ja eigentlich perfekt. Schwieriger bis unmöglich wird’s mit der Erklärung des Verhältnisses zur Kirche: Als Organisation haben wir kein Verhältnis (kann ein Verein katholisch sein?). Das Verhältnis der Personen, die den Verein ausmachen, ist wohl von Fall zu Fall verschieden. Aber: Es gibt für das Jazzatelier nach wie vor direkte, pragmatisch/praktische Berührungspunkte – wie zB. die Verwendung der Kirche als Konzertraum und dergleichen. In dieser Hinsicht funktioniert die Kommunikation und Zusammenarbeit nun friktionsfrei – was sicher auf der personellen Ebene auch etwas mit gegenseitigem Respekt zu tun hat.

AB: Wer sind die anderen Aktivposten außer dem Fischer Lois? Und welche Optionen, um nicht zu sagen Visionen birgt konsequente Kulturarbeit, wie sie das Jazzatelier Ulrichsberg im Oberen Mühlviertel seit 35 Jahren betreibt, aus deiner/eurer heutigen Sicht? Anders gefragt: Besteht die Gefahr der Bereitstellung von Begleitmusik zum Status quo, oder besteht Hoffffnung auf Subversion?

AF: Die Aktivpostenanzahl macht rund um Festivals wie das Kaleidophon dankenswerterweise immer so an die neunzig Leute aus. Dann gibt’s weiters einen viel kleineren Kreis, der sich halt das ganze Jahr über bei den Einzelkonzerten, Filmen und Ausstellungen einbringt. Und – eh klar – es gibt eine demokratische Entscheidungsstruktur, also je einen Beirat für Musik, Film und Bildende Kunst.

Wenn die Begleitmusik zum Status quo von zB. Radu Malfatti, Peter Ablinger oder Paul Lovens kommt, dann ist das ja immer noch etwas, das die Um- und Zustände aus durchaus anderen, unüblichen und jedenfalls nichtmainstreamkompatiblen Blickwinkeln beleuchtet. Oder gibt es inzwischen irgendwo in Oberösterreich große etablierte Häuser jenseits der Kulturinitiativenszene, wo diese Sachen regelmäßig auf dem Spielplan stehen?

Wenn wir uns nun darauf einigen, dass es wichtig ist, Foren zu haben, auf denen diese Dinge abgehandelt werden, dann führt meiner Meinung nach an der KI-Szene inkl. Jazzatelier nach wie vor kein Weg vorbei. Wenn Subversion also meint, zB. im Feld der Musik den herrschenden Trends eine andere Sicht entgegen- oder zumindest gegenüberzustellen, dann sind wir da wohl schon noch mitten drin.

Ob der Begriff in einem weiteren, gesellschaftlichen, politischen Kontext in diesem Zusammenhang noch so viel hergibt? Ich hab da meine Zweifel. Alleine die Tatsache, dass die Frage da jetzt so irgendwie lautet: „…und, seid‘s eh immer noch brav subversiv da oben im Mühlviertel?“ – das impliziert ja irgendwie schon eine Art Erwartungshaltung. Ich bin mir nicht sicher, ob wir die a) überhaupt erfüllen wollen, und b) steht da dann auf jeden Fall auch die Frage: Ist Subversion noch subversiv?

Klar, wir sind auch für die Gleichberechtigung, gegen den Irak-Krieg, gegen Ausländerfeindlichkeit, … im Prinzip halt für den ganzen in unseren Kreisen etablierten political-correctness-Kanon. Ganz im Gegensatz zur Musik von Malfatti, Ablinger und Lovens find ich dieses Kontextfeld aber zu einem gewissen Grad langweilig, weil selbsverständlich – oder zumindest nicht frisch genug, um es ständig auf der Fahne vor mir herzutragen… Schwierige Frage.

AB: Beschränken sich Kulturinitiativen, wie sie Mitte bis Ende der 1980er Jahre entstanden sind, als (dringend) notwendige Zeiterscheinung, wichtig für die längst fällige Demokratisierung, die heute eingelöst ist? Oder reicht ihr Bedarf darüber hinaus? Und beschäftftigt sich auch eine jüngere Generation mit euren ursprünglichen Vorhaben?

AF: Es ist schon so, dass es auch im Jazzatelierumfeld einen jüngeren Kreis gibt, der sich mit ähnlichen Inhalten auseinandersetzt wie die Generation davor – auch wenn da natürlich inzwischen die Notenblätter durch digitale Filter und Festplattenplatz ersetzt worden sind. atelier_abstrait nennt sich zB. die direkt vor Ort agierende Gruppe von Leuten, die sich mit sowas beschäftigen. Aber dass jetzt nach 35 Jahren der gesamte Ort inkl. der gerade pubertierenden Generation mit unseren Inhalten infiziert wäre, das wäre natürlich erheblich übertrieben … Auf einer allgemeineren Ebene: Wir bereiten in Kooperation mit Linz09 gerade eine Oper, die „Landschaftsoper Ulrichsberg“ von Peter Ablinger vor. Oper meint hier ganz und gar nichts Elitäres. Im Gegenteil: Oper versucht in diesem Fall ganz nahe an die Leute in Ulrichsberg heranzukommen, sie im besten Falle sogar zu Akteuren zu machen. Ein Stück weit also auch „Oper als soziales Experiment“.

Ich würde also zB. genau an dem Punkt nach wie vor sowas wie gesellschaftliche Relevanz einer KI vor Ort sehen. Wir müssen aber natürlich schon auch erst sehen, wie weit das alles funktionieren wird. Jedenfalls: Kein Jazzatelier vor Ort hieße wohl auch: Keine Landschaftsoper in Ulrichsberg.

AB: Hat neue, im Sinn von die beste Musik der Welt überhaupt Perspektiven in Hinsicht auf die Region (Mühlviertel, Bayern, Böhmen) und darüber hinaus – womöglich bis hinein in die Gesellschaftft? Wenn ja, welche?

AF: Schwierig ist es bisweilen, und mühsam. Und es wird wohl nie so werden, dass wir noch drei Säle dazubauen müssen, um die Leute unterzubringen. Aber: Hoffnungslos ist es trotzdem nicht. Ob dabei die Region so wichtig ist, möchte ich aber sowieso bezweifeln: Prozentuell an der Bevölkerungsdichte gemessen, ist wohl das Interesse an „bester Musik der Welt“ rund um Ulrichsberg höher als in New York (vermute ich). Dass Musik die Gesellschaft erheblich zu ändern vermag, bezweifle ich sowieso. Aber sensibel machen, wachsam halten, darauf achten, dass wichtige Fähigkeiten wie „Zuhören „ nicht unter die Räder kommen – dafür zu arbeiten lohnt es sich immer noch und wohl noch lange …

Jede Menge Kooperationskonzerte mit Linz09 (Landschaftsoper/Ablinger, Wandelweiser, Kaleidophon #24, Phonomanie/Lovens etc.) – siehe: http://www.jazzatelier.at

Andreas Bahcetepe ist gelernter Kulturarbeiter und lebt in Wels und Istanbul.