10 Jahre freie Radios – 10 Jahre interkultureller Dialog. Von Albert „Sidi“ Heidelmeir.
Allen, die es noch immer nicht bemerkt haben und jenen, die es schon wieder vergessen haben, zur Erinnerung: Wir befinden uns mitten im Jahr 2008, dem „Europäischen Jahr des interkulturellen Dialoges“. 1
Die Hälfte dieses Jahres ist nun bereits vergangen, und es scheint so, als würde dem Begriff »interkultureller Dialog« die nötige Strahlkraft fehlen. Wie sonst ist es zu deuten, dass bis dato keine größeren öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten zum Thema zu verzeichnen sind? 2
Unter den wenigen, die sich in größerem Rahmen an diesem Jahr des interkulturellen Dialoges beteiligen, sind die Freien Radios in Österreich, die über den VFRÖ3 das Projekt RADIODIALOGE – Stimmen der Vielfalt umsetzen: 6 interkulturelle Redaktionen in 6 Freien Radios produzieren 48 mehrsprachige Magazine, die österreichweit ausgestrahlt werden. 4
Der Projektuntertitel „10 Jahre Freie Radios – 10 Jahre interkultureller Dialog“ wird jedoch manchen InsiderInnen der Freien Radios sauer aufgestoßen haben, womit wir auch schon beim Kern der Sache angelangt wären, der da ist: Interkulturalität und Multikulturalität sind nicht die oft falsch verstandenen zwei Seiten ein und der selben Medaille.
Den Anspruch der Multikulturalität dürfen die Freien Radios zweifellos für sich erheben: Seit den (offiziellen) Anfängen der Freien Radios vor 10 Jahren haben sich Einzelpersonen und Gruppierungen verschiedenster migrantischer und somit sprachlicher Herkunft etabliert, die hier Sendungen für ihre jeweilige Community produzieren. In überwiegender Mehrzahl in ihrer Herkunftssprache, da es so natürlich einfacher ist als über den schwierigen Umweg der Mehrheitssprache Deutsch. Nicht zuletzt spielen auch die Identifikation bzw. die Rückbesinnung auf die eigene ethnische Herkunft eine Rolle. Die Form des offenen Zugangs, den die Freien Radios bieten, ist für diese pluralistische Ausdrucksund Sprachenvielfalt der ideale Nährboden.
All diese Umstände waren aber nie eine bewusst gesteuerte Entwicklung, sondern sie sind den Freien Radios sozusagen passiert. Mittlerweile gibt es eine fast unüberschaubare Anzahl an verschiedenen ethnischen, muttersprachlichen Sendungen in allen Freien Radios in Österreich. Freie Radios sind also multikulturell, so weit, so gut und darauf dürfen sie auch stolz sein.
Wieso aber „10 Jahre interkultureller Dialog“? Der Begriff Interkulturalität bezeichnet eine Beziehung zwischen zwei oder mehr Kulturen. Zum einen wird durch ihn ausgedrückt, dass es Unterschiede zwischen Kulturen gibt und zum anderen zeigt er an, dass trotz dieser Unterschiede Möglichkeiten zum Austausch zwischen den Kulturen gegeben sind. Interkulturalität bedeutet nicht nur, dass in einer Situation verschiedene Teilnehmer aus verschiedenen Kulturen agieren (hier landen wir wieder bei der Multikulturalität), sondern, dass sich etwas entwickelt, was über die Addition der Merkmale der beteiligten Kulturen hinaus geht.
Dass der VFRÖ mit dem Projekt RADIODIALOGE – Stimmen der Vielfalt einen Impuls gibt, diesem Anspruch auch real gerecht zu werden, ist lobenswert. Sich deshalb gleich 10 Jahre des interkulturellen Dialogs auf die Fahnen zu heften sorgt jedoch bei so manchen altgedienten RadiomacherInnen mit migrantischem Hintergrund für leichte Verstimmung.
Natürlich haben sich die „MacherInnen“ in den Freien Radios immer wieder bemüht, den Begriff der Interkulturalität mit Leben zu füllen, wie verschiedene Ansätze der letzten Jahre zeigten. 5 Und natürlich bemühten und bemühen sich die Freien Radios in der Vermittlung von Kompetenzen rund ums Radiomachen dem Begriff der Interkulturalität gerecht zu werden. Kritik gab’s und gibt’s vor allem am Zustandekommen und an der Durchführung solcherart gelagerter Projekte. Woran liegt es, dass nur Angehörige der Mehrheitsgesellschaft in den für die Konzeption und Abwicklung dieser Projekte verantwortlichen und, wenn auch prekär, bezahlten Positionen zu finden sind, während für das Zustandekommen des Endergebnisses in Mehrheit und hauptsächlich ehrenamtlich Angehörige aus anderenKulturkreisen verantwortlich zeichnen? Gibt es wirklich so wenig MigrantInnen in den Radios, die Interesse und Potential für das in Gang bringen eines wirklichen interkulturellen Dialogs (auch und gerade in verantwortlichen Positionen) haben? Oder anders gefragt: besteht ihrerseits überhaupt Interesse an einem interkulturellen Dialog, der ohnehin letztlich wieder von der Mehrheitsgesellschaft definiert und dominiert wird?
Wie mit diesen Fragen umgegangen wird, wird den Verlauf und das Gelingen oder auch Scheitern des interkulturellen Dialoges in den Freien Radios (und nicht nur dort) in unmittelbarer Zukunft bestimmen. Bis dorthin horchen wir weiterhin mit Interesse multikulturelles Radio…
1 http://www.interculturaldialogue2008.eu 2 siehe http://www.bmukk.gv.at/ejid Projekte 3 Verband Freier Radios Österreich Dachorganisation aller Freien Radios http://www.freie-radios.at 4 Alles rund um das Projekt und alle Sendungen zum nachhören auf http://www.radiodialoge.at 5 Besonders empfehlenswert die Broschüre WER SPRICHT – Interkulturelle Arbeit und Mehrsprachigkeit im Kontext freier Medien, zu beziehen über den VFRÖ, entstanden aus dem Projekt BABELINGO, http://www.babelingo.net
Albert „Sidi“ Heidlmeir ist Obmann des interkulturellen Kunst- und Kulturforums „Cafe Mulatschag“, Radiomacher mit gleichnamiger Sendung, Projektkoordinator für das interkulturelle Radio beim Freien Radio Freistadt und im Brotberuf geschäftsführender Koordinator für den Verein Land der Menschen – Aufeinander Zugehen OÖ.