Gedanken zum Jahr 2008: dem Jahr der EURO 08, dem Internationalen Jahr der Sprachen 08, Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs 08 von Petja Dimitrova
»Wir« sind schon lange hier. Manche wurden vom Gastgeber (zum Arbeiten) eingeladen, manche als Zwischenstop am Weg woanders, manche weil schon ihre (Ur-)Urgroßeltern hierher gezogen sind, manche … warum auch immer. Uns alle nennen »sie« Ausl… MigrantInnen. Wir leben hier und woll(t)en auch, dass alle miteinander was zu tun haben. Kommunizieren, sich befreunden, politisch handeln. »Wir« würden unsere Lebenserfahrungen und unser Wissen weitergeben. »Wir« möchten von einander lernen, miteinander aufbauen, verändern, entwickeln. Aufmerksam und gleichberechtigt! Und immer noch! »Wir« woll(t)en auch wissen, was hinter der so genannten »einheimischen« oder (Dominanz)Kultur steckt? Ob »sie« das von uns auch wissen wollten? Es ist einiges von uns zu holen, sag(t)en »sie« immer. Wenn wir gegenseitig kommunizieren (sollten), muss die Sprache deutsch sein. Unsere monolinguale Kultur wird nicht akzeptiert. »Sie« sind diejenigen, die die Verhaltensregeln bestimmen möchten. »Sie« dürfen jederzeit alles entziehen, wenn es denen so passt. »Wir« sollen hauptsächlich arbeiten, nur bestimmte Posten besitzen, bestimmte Schulen besuchen, unser wesentlicher Beitrag soll sein, dass wir – regelmäßig – in die »Nationalstaatkassa« einzahlen. Wählen und eine gemeinsame politische Struktur mitgestalten dürfen wir nicht (alle). Und bis heute bestehen »sie« darauf. Schwierig. Seit Jahren und Generationen organisieren »wir« uns mit Kritik, Veränderungsvorschlägen und neuen Kommunikationsstrategien, um die gemeinsame Zukunft aufzubauen. Eine demokratische, mit gleichen politischen und sozialen Rechten.1
Es ist 2008. Das Jahr der EURO 08, UNESCO Internationales Jahr der Sprachen 08, Europäisches Jahr des interkulturellen Dialogs 08 (EJID). Es ist Dynamik, Kommunikation, Flexibilität, Unternehmungsgeist, Eigenverantwortung angesagt. »Wir« sollten uns hinein integrieren. Das soll zur Stärkung der europäischen Ökonomie, »kultureller Werte« und der Demokratie beitragen. In all diesen (ökonomisch) verwertbaren Initiativen sind »sie« MitveranstalterInnen. »Sie« bekommen Geld und Konzepte, wie mit allen diesen »Dingen« umzugehen ist. »Wir« dürfen dabei sein. »Wir« sollten BotschafterInnen² zur Repräsentation der kulturellen Vielfalt entsenden. »Uns« wird etwas in Richtung Dialog angeboten. In diesem Jahr, im Rahmen des EJID 08 sollte »die öffentliche Diskussion zur Förderung des interkulturellen Dialog« initiiert und gestärkt werden«. ³ Das beauftragte BMUKK hat für das EJID 08 ein Zentr…Nationalkomitee einberufen, das zuständig für Aktivitäten und Projekte aus dem Kunst- und Kulturbereich ist, die Interkulturalität thematisieren. Keine einzige (Selbst-)Organisation von MigrantInnen ist zu diesem Komitee eingeladen. 4 Das meiste Budget für den »Dialog« bekommt der ORF, der seine Idee über »interkulturelle« Aktivitäten in Österreich in der Öffentlichkeit durchsetzt. Als da wären: ein großes (Eröffnungs-)Part…Konzert sowie ein »Dialog-Tour-Konvoi«, der durch das Land fährt und von »uns« (unbezahlt) aufgeführte Initiativen und Projekte präsentiert. Während des »Dialoges« wird getanzt, gespielt, gesungen, Nationaltrachten gezeigt, Quiz und Kabaretts aufgeführt. Regelmäßig ist dabei der Bereich »Interkultureller Dialog geht auch durch den Magen« geplant. Eine Reflexion über den Ablauf der Interkulturalität soll im Herbst 08, kurz nach dem Sommerurlaub und dem Ende der EURO 08 stattfinden. 5 Danach sollen Berichte nach Brüssel geschickt werden. Interkulturalisten 6 bekommen weitere Aufträge, an interkulturellen Dialog-, Management-, Kompetenz-, Philosophie-, Pädagogik-, (Lebenslang-)Lern-, psychotherapeutischen u.a. Konzepten zu basteln. Interkulturalität wird hype und wird für »dringend« erklärt. Sie soll breit »eingesetzt« werden. Gibt es Gewinne dabei? Neue Berufsfelder? Lehrstellen als KulturmanagerInnen? Werden Menschen nach der kulturellen »Anerkennung« auch einen legalen Aufenthaltsstatus und gleiche politische Rechte hier bekommen? Und wie beinhart werden »interkulturelle« Gesetze verabschiedet, die systematisch hier lebende MigrantInnen illegalisieren? 7 Österreich streicht Organisationen aus seiner National Strategy (Aktivitäten im EJID 08), die sich in ihrer Selbstdarstellung für gleiche (politische und soziale) Rechte von Menschen ohne EU-Pass erklären, sowie für ein Bleiberecht für alle 8 . Das entspricht nicht den interkulturellen Bestrebungen dieses Landes und wird als verfassungswidrig erklärt.
Die »Förderung des interkulturellen Dialoges« ist bis Ende 2008 beauftragt. Danach beginnt das Jahr der Kreativität und Innovation 09. »Kreativ und innovativ« werden »wir« weiter an der Gleichstellung von Migrantinnen in Österreich kämpfen. »Wir« werden uns weiter der Verweigerung der politischen Integration von Migrantinnen entgegen stellen. »Wir« bestehen auf die Abschaffung der rassistischen Fremdengesetze, »die MigrantInnen systematisch schlechter stellen und eine permanente Destabilisierung ihres Daseins in Österreich darstellen«. 9 Mehr mehrsprachige Schulen, Zugang zu Entscheidungspositionen, Anerkennung von mitgebrachten (Aus-)Bildungs (Abschlüssen). In diesem Sinne fordern »wir« »interkulturelle« Konflikte statt Monol… Dialoge heraus. »Den Dialog« verweigern sobald er (weiter) die Macht der Dominanzkultur stabilisiert.
Petja Dimitrova ist bildende KünstlerIn mit Arbeitsfokus auf Migration und politischem Antirassistismus. Zur Zeit wissenschaftliche MitarbeiterIn an der Akademie der bildende Künste Wien.
1 Geschichte der Migration in Österreich www.gastarbajteri.at. Sowie zahlreiche Texte von Ljubomir Bratic, maiz, Obiora C-Ik Ofoedu, Senad Lacevic, Dimitre Dinev, Recherchegruppe zu Schwarzer österreichischer Geschichte, diverse universitäre Studien.
2 www.bmukk.gv.at/ejid
3 Aus: Vorwort Claudia Schmied in Bericht zur EJID 08 / educult
4 http://www.bmukk.gv.at/europa/ejid/umsetzung.xml
5 Info aus der Sitzung des Nationalkomitees im bmukk
6 z.B. Öffentlicher Vortrag: Interkulturalität: Begriff- Ansätze – Einsätze. Hakan Gürses. www.univie.ac.at/iwk/08sym.html#guerses
7 NAG, FPG 2006 www.bmi.gv.at
8. IG BILDENDE KUNST, und Bundes Jugendvertretung, sind aus der Strategy herausgenommen, der (inoiziellen) Begründung, dass die Formulierungen in der Selbstdarstellung dieser Organisationen der österreichischen Verfassung widersprechen. www.bmukk.gv.at/europa/ejid/umsetzung.xml
9 Aus: Offener (Protest)Brief Betreff zur MiA Award 2008, von Araba Evelyn Johnston-Arthur. Siehe unter www.initiative.minderheiten.at