Kurze Notizen zum Integrationsleitbild
Die Lektüre des vor kurzem veröffentlichten Integrationsleitbildes des Landes OÖ erweckten in mir einige Fragen. Eine dieser Fragen bezieht sich auf die Entstehung und Durchsetzung eines verbreiteten Konsenses in der Annäherung zum Thema Integration und in der Behandlung der Materie, der dem Leitbild zugrunde liegt. Die im Leitbild präsentierten Maßnahmenempfehlungen stehen alle im Einklang mit den formulierten integrationspolitischen Leitlinien des Landes OÖ sowie mit dem Integrationsverständnis der politischen Entscheidungskräfte des Landes. Es ist keine Maßnahme zu finden, die eine konträre Position zur Argumentation der Bereicherung, die durch Migration der Mehrheitsgesellschaft zugerechnet wird, darstellt. Migration wird als Chance beschrieben, um Nutzen für die Mehrheitsgesellschaft zu erreichen: Migration sei notwendig für die Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Landes vor dem Hintergrund der soziodemographischen Entwicklung und verspreche dem Wirtschaftsstandort Oberösterreich eine erfolgreiche Entwicklung. Neues Wissen, Erfahrungen und Qualifikationen kommen ins Land und tragen zusätzlich zu einem reichen kulturellen Leben bei. (Also: wer wird schon gegen derartige Versprechungen sein?) Aber womit muss jemand rechnen, der/die in diesem Land lebt, oder leben will, und keine der erwarteten Bereicherungen liefert? Wer definiert, was bereichernd ist? Der Markt? Die Politik? Auf welcher Logik basiert die Kosten/Nutzen-Argumentation? Und noch einmal: warum herrscht hier Konsens? Wahrscheinlich liegt es in der Natur von Integrationsleitbildern… Aber vielleicht ist es auch tatsächlich so, dass in diesem Land diesbezüglich Konsens herrscht. Die Herrschaft einer Konsensorientierung, welche die Entstehung, das Profil und die Praxis, und somit die weitere Existenzsicherung der einzelnen Institutionen und NGOs bedingt. Alles im Allem ein Brei, dazwischen inszenierte Kämpfe. Nirgends wird eine radikale Kritik an der politisch-ökonomischen Ordnung formuliert, die letztendlich für Ungleichheit, Ausbeutung, Verarmung, Unterdrückung und Exklusion verantwortlich ist. Ohne eine Positionierung gegen die Hegemonie des Kapitalismus sowie ohne die Berücksichtigung der sozioökonomischen und politischen Makrostrukturen vor allem im Hinblick auf die Frage der internationalen Arbeitsteilung, die im brennenden Zusammenhang mit den internationalen Migrationsbewegungen stehen, werden Maßnahmen für Chancengleichheit und Teilhabe vorgeschlagen. Als wäre Oberösterreich die Welt, als wäre die Welt wiederum in ihrer politischen und ökonomischen aktuellen Verfassung natürlich gegeben. Als gäbe es keine ideologischen Determinanten. In diesem Sinn ist es nicht überraschend, dass das Wort Rassismus kein einziges Mal im Leitbild erscheint, und dass keine Hinweise auf Neoliberalismus im Text zu finden sind. Als gäbe es hier keine Verschränkung mit dem Thema Integration.
Die im Zusammenhang mit dem Thema Integration beschriebenen Probleme, die in der gegebenen Welt zu beobachten sind, sind anhand von Maßnahmen zu bekämpfen, die sich innerhalb der herrschenden politisch-ökonomischen Ordnung bewegen: insbesondere die Konzepte des Diversitätsmanagements und der Interkulturalität.
Das Konzept des Diversitätsmanagements basiert auf der Kulturalisierung von Differenzen, die hier als ungenutzte Ressourcen seitens Institutionen und Betrieben (in der o.e. Logik der Bereicherung) wahrgenommen werden und die es zu verwerten gilt.
Der Begriff Interkulturalität und vor allem das Attribut interkulturell werden in den Empfehlungsmaßnahmen des Leitbilds auffallend häufig angewendet, ohne dass jedoch eine Begriffserklärung formuliert wird, und obwohl im diskursiven Teil des Leitfadens eine inhaltliche Distanzierung vom Konzept zu beobachten ist. Auch in maiz ist eine interkulturelle Perspektive präsent (vor allem als didaktische Aufarbeitung bestimmter Themen), sie ist aber nur eine von mehreren Ansätzen. Denn eine interkulturelle Annäherung priorisiert »Kultur« als die zentrale Differenzdimension und die ausschließliche kulturelle Betrachtung von MigrantInnen und der mit Migration verbundenen Phänomene bedeuten eine Einengung und verunmöglicht folglich eine Beschäftigung mit jenen Zugehörigkeitsordnungen, die entlang unterschiedlicher Differenzlinien entstehen (wie Nationalität, Ethnizität, Geschlecht, Alter, Religion, Klasse/Sozialstatus, Besitz). Im Rahmen unserer Arbeit setzen wir uns hingegen mit der Herausforderungen auseinander, diese Zugehörigkeitsordnungen nicht zu reproduzieren und zu zementieren, sondern sie zu reflektieren, zu problematisieren, zu dekonstruieren und zu verschieben. Dies wäre anhand einer vordergründigen Anwendung der interkulturellen Perspektive nicht realisierbar und würde unseren Grundsätzen nicht entsprechen.
Der Verein maiz beteiligte sich an verschiedenen Arbeitskreisen im Rahmen des Prozesses zur Erstellung des Leitbildes. Mit den von uns vertretenen Positionen waren wir in der Regel in der Minderheit – im Arbeitskreis Kultur und Religion gemeinsam mit der Kupf, die sich ebenfalls nicht beteiligt an den herrschenden konsensuellen Positionen. Wir waren u.a. nicht mit dem Vorschlag zur Errichtung eines interkulturellen Begegnungszentrum einverstanden, der letztendlich doch in den Maßnahmenkatalog aufgenommen wurde…
Rubia Salgado, Mitarbeiterin von maiz – Autonomes Zentrum von und für Migrantinnen – in den Bereichen Kultur- und Bildungsarbeit.