»Was kann Radio?«

Zum zehnjährigen Bestehen Freier Radios in Österreich bat David Guttner die Geschäftsführung von Radio Orange und Radio FRO zum Interview.

 

Wegen eines geplatzten Kühlwasserschlauchs um einige Minuten verspätet, traf ich Mitte März am Linzer Hauptbahnhof Helga Schwarzwald und Sandra Hochholzer, die Geschäftsführerinnen der Freien Radiostationen ORANGE 94,0 (Wien) und FRO (Linz).

Ein Gespräch zu Geburtstagsaktivitäten, Programmaufträgen, Geldbeschaffungsmöglichkeiten und der Frage, ob man Freie Radios überhaupt gerne hören soll.

Schön, dass ihr die Zeit zu diesem Gespräch im möglicherweise stressigen Jubiläumsjahr gefunden habt. Wie wird denn das bei euch begangen?

Helga Schwarzwald: Naja, neben dem Umstand, dass wir zehn Jahre alt sind, was eben ein Anlass zum Feiern ist, gilt es gleichzeitig zu reflektieren und zu schauen, wo wir stehen. Es fällt auch mit der Arbeit der letzten drei Jahre zusammen, in denen wir viel nachjustiert oder entwickelt haben.Es gibt auch heuer wieder – wie jedes Jahr – ein großes Geburtstagsfest, das diesmal etwas stärker auf die Geschichte und die Anerkennung von RadiomacherInnen und Leuten, die das Projekt seit langem mitgestalten, Bezug nehmen soll.Des weiteren soll eine niedrigschwellige Veranstaltung im Hörspielbereich entstehen. Und darüber hinaus gibt’s auch noch den Bereich Medienpolitik, wo wir über Beteiligung bzw. Ausschlüsse nachdenken, die etwas mit Herkunft/Rassismen zu tun haben, und was man da machen könnte. Also die zehn Jahre als, ja – Rückschau, Kritik aber auch Perspektive in die Zukunft nützen.

10 Jahre FRO – was kann man da machen?

Sandra Hochholzer: 10 Jahre Freies Linzer Stadtradio spielt sich eh nicht ganz unähnlich Stadtradio spielt sich eh nicht ganz unähnlich ab wie bei ORANGE in Wien. Wir haben ab wie bei ORANGE in Wien. Wir haben bereits 2007 einen Reflektionsprozess gestartet. Es sind Videointerviews entstanden, mit Leuten, die von Anfang an tragende Rollen bei Radio FRO gehabt haben, und das ist jetzt der erste Teil einer Dokumentationshomepage. Neben diesen Videos kommen auch noch Audios und Texte auf die Homepage, die sowohl medienpolitischen Charakter haben, als auch eine Momentaufnahme eines Blicks auf Radio FRO widerspiegeln. Weiters sind Fragebögen entwickelt worden, die im Zusammenhang mit einer für den Herbst 2008 gedachten Programmreform stehen. Diese Fragebögen werden auf der Homepage online ausfüllbar sein, beziehungsweise werden wir sie auch verschicken oder aufliegen lassen. Was in diesem Rahmen jetzt noch passiert, ist eine im März begonnene Impulsreferat- und Diskussionsreihe, unter dem Appetite for Transmission. Es werden Gäste zu der Frage »Was kann Radio?« eingeladen, die sich mit Medien/Kunst auseinandersetzen. Ja und im Herbst wird’s ein Fest geben. Aber das gibt’s jedes Jahr.

Per Definitionem hat sich die Idee eines Freien Radios kaum gewandelt: Es geht um eine nicht kommerzielle Plattform, die freien Zugang zu dem Medium Radio ermöglichen soll. Wie weit deckt sich diese Definition mit euren Erfahrungen als Geschäftsführerinnen Freier Radiostationen?

S.H.: Ich glaub genau das ist eine recht spannende Frage, die eben noch ein bissl ein Teil dieses Reflektionsprozesses ist: Was war der Gedanke der Freien Radios vor zehn Jahren, und wo stehen wir heute? Ist es heute immer noch der gleiche Auftrag, oder hat sich der in einer gewissen Weise auch verändert? Auch das ist noch einmal absolut abhängig von der Örtlichkeit, wo das Freie Radio angesiedelt ist. Also Linz selbst hat sich in den letzten zehn Jahren bestimmt verändert, und genauso das Freie Radio in Linz, dessen Rolle vor zehn Jahren eine sehr neue, sehr spannende war. Mittlerweile hat sich das Radio in Linz positionieren können und wird auch angenommen. Sollten Freie Radios auch eine inhaltliche Linie vorgeben oder wird diese allein durch die ProgrammmacherInnen gestaltet?

S.H.: Also ich glaube, bei Radio FRO ist das getrennt zu sehen: man versucht schon, die RadiomacherInnen einzubinden, aber das kulturpolitische Schafen oder die Projektarbeit von Radio FRO ist etwas, was nur teilweise von den RadiomacherInnen selbst beeinflusst ist.

Aber dieser Auftrag, sich auch inhaltlich-redaktionell als Radio selbst zu positionieren, ist in Wahrheit gar nicht vorhanden. Hat sich der erst durch die Praxis ergeben?

S.H.: Das Infomagazin FROZINE bei FRO wird beispielsweise auch nach Bedürfnissen gestaltet, die nicht wahnsinnig viel mit den ProgrammmacherInnen zu tun haben. Das würde ich eher auf die Seite einer kultur- und medienpolitischen Ausrichtung stellen. Also medienpolitischen Ausrichtung stellen. Also diesen Auftrag gibt’s schon.

H.S.: Also ich mache den Job ziemlich genau seit 4 Jahren. Ich kenne ORANGE allerdings schon länger, auch als politischen – wie soll ich sagen – Akteur. Bei ORANGE war das nie so sicher, ob das nur eine Plattform ist. Ich habe den Eindruck, dass es sehr hohe Ansprüche darüber hinaus gibt: Wie kann man es erreichen, dass sich Leute als Teil des Projekts wahrnehmen? Da gibt’s eine sehr große Bandbreite an Programmmacherpositionen, was, glaube ich, zum Teil dazu führt, dass es das Projekt auch fast zerreißt, im wörtlichen Sinn. Es hat über diese ganze Geschichte immer wieder Konflikte gegeben, weil sich dann auch die Frage stellt, wo jetzt die Grenze der Beteiligung ist? Ich sehe das so, dass die Partizipation sich im wesentlichen auf das Pogramm und darüber hinaus gehende programmatisch vertretene Inhalte konzentriert. Zur redaktionellen Position des Herausgebers meine ich, dass es für ORANGE notwendig ist, zu reflektieren und wahrzunehmen, wo man redaktionell tätig wird, beziehungsweise gerade auch nicht tätig wird. Ein Programmkoordinator ist auch nicht dazu da, das Programm sozusagen zu überwachen, sondern sich eher etwas dazu zu überlegen, wie man in einer Art redaktionell tätig sein kann, die da heißt: den Prinzipien von ORANGE 94,0, die meiner Ansicht nach extrem hoch sind, gerecht zu werden. In den allgemeinen Richtlinien, die man auf unserer Homepage nachlesen kann, steht sogar so etwas wie antisexistisch, antirassistisch, antifaschistisch, nicht die Würde des Menschen verletzend. Das ist ein hoher Anspruch.

Geht’s da um die Vermeidung von beispielsweise Rassismen oder Sexismen, oder das auch…

H.S.: …bewußt zu sein! Genau. Die Realität, denk ich mir, ist in etwa so: verlangt man ein bisserl mehr, bekommt man ein bisserl weniger, im Sinne von: wenn man antirassistisch verlangt, bekommt man hoffentlich wenigstens NICHT rassistisch. Wir bemühen uns, die meist heterogenen Gruppen von Menschen in den Schulungen immer mehr auch für Fragen zu sensibilisieren, wie »Was heißt Sexismus?«. Auch die Leute dazu zu bewegen, sich darauf einzulassen, das persönlich und emotional ein Stück weit zu erspüren. Und nicht: das ist irgendwas, und solange man nicht ganz verheerende Rassismen oder Sexismen ausposaunt, ist eigentlich alles OK. Wie sich ORANGE redaktionell positioniert, seh ich darin, wie konsequent man diesen Auftrag umsetzt, und wie gut man in der Auswahl neuer Sendungen auch darauf schaut, dass im gesamtmedialen Spektrum unterrepräsentierte Inhalte wirklich sehr ernst genommen werden. Es gibt einen Passus bei uns in den Richtlinien, der heißt: »Vor allem zu fördern sind neu aufkommende kulturelle, politische, subkulturelle, künstlerische Strömungen.« Auch auf das ein Augenmerk zu legen, in dem seh ich eigentlich die redaktionelle Verantwortung.

Wie funktioniert denn der Weg aus dem Studio hinaus, damit diese Inhalte auch irgendwo ankommen können? Wie kann man diese ganze Heterogenität, von der du gesprochen hast, so ankommen lassen, dass sie auch trotzdem, vielleicht ein böses Wort in dem Zusammenhang, »sexy« klingt?

H.S.: Also gerne hören, im Bezug auf Freie Medien, ich weiß nicht…

Soll man das gar nicht?

H.S.: … also auch das soll möglich sein, es nicht gerne zu hören, aber es doch zu hören. Ich denk, es geht ein Stück weit auch darum, dass, aufgrund dessen, dass es dieses Medium gibt, Menschen mit Inhalten konfrontiert werden, mit denen sie sonst vielleicht nie in Berührung gekommen wären. Ich stelle selbst fest, wenn ich ORANGE höre, dass es erstaunlich viele Sendungen gibt, die, wenn nicht sexy, so doch interessant, und inhaltlich einfach sehr gut gemacht sind, sehr informativ. Ich glaub, dass es nicht umsonst so ist, dass heuer die Freien Radios zum Beispiel Ö1 beim Radiopreis der Erwachsenenbildung überholt haben, und dass FM4 gar nichts bekommen hat… Also ich glaub das mit den Inhalten funktioniert ganz gut. Wir haben in den letzten Jahren intensiv nach innen gearbeitet, haben diesen Betrieb von Grund wieder aufgebaut, weil er zu Tode gespart und gehungert wurde, nicht zuletzt seit 2001 vom Bund. Mittlerweile haben wir einen funktionierenden Betrieb, einen neuen Standort, ein tolles Team, einen Haufen RadiomacherInnen. Und jetzt gilt’s auch für uns eher nach außen zu gehen, zu schauen, wo man in der Stadt auch wirklich Präsenz zeigen kann, nicht nur mit dem Programm, sondern auch mit Menschen, mit Veranstaltungen. Zu signalisieren: das ist jetzt nicht ein abgeschlossenes Ding, wo das Programm voll ist, und wo sich alle gemütlich eingerichtet haben, sondern es handelt sich um ein lebendiges Teil, das immer noch freie Programmflächen hat, das immer noch gerne Leute in Bezug auf Öffentlichkeitserzeugung unterstützt, wenn’s darum geht Unerhörtes, Provokantes, Subversives, Gefährliches auch On Air zu bringen!

Sandra, wie siehst du das, speziell die Frage der Positionierung?

S.H.: Na ja, an der Positionierung in der Stadt arbeitet auch FRO schon die letzten Jahre. Wir haben vor drei Jahren eine »Talkaokeserie« gemacht, auch bewusst in den Rand, auch bewusst in den Randbereichen der Stadt, auf Spielplätzen oder Gemeinschaftszentren. Haben Gespräche zu spannenden Themen geführt, die dort auch aktuell sind. Eine andere Geschichte ist, dass wir jetzt wesentlich unsere Signalqualität verbessern konnten, was jahrelang auch eine Frage des Geldes war. Wenn man jetzt von anderen Sendern FRO schaltet, erkennt man den Sender nicht sofort an seiner Klangqualität, sondern an anderen Dingen. Ich denk mir, es wird sich bei diesem Reflexionsprozess auch in Richtung Programm einiges ergeben, wo wir dann neue Zielsetzungen herausfiltern können. Einfach auch mit dieser vielleicht kleinräumigen Einbindung von NutzerInnen durch die Fragebögen. Ich erwarte mir da jetzt nicht die massenhafte Rücksendung von Fragebögen, aber die, die wir dann zurück bekommen, da ist sicher ein Inhalt drinnen, der für uns sehr kostbar ist.

In OÖ gibt’s jetzt schon drei Freie Radios, ein viertes in Kirchdorf steht im Raum. Wie siehst Du diese Entwicklung?

S.H.: Die Medienförderung für die Freien Radios vom Land OÖ ist derzeit ein Topf, der immer auf drei Jahre fixiert wird. Was natürlich schnell die Assoziation zulässt, dass es jetzt ganz schlecht wäre, wenn plötzlich ein viertes Radio hinzukäme, da müssten wir ja auf einen Teil dieses Topfes verzichten. Ich glaube aber, dass man es von dieser Seite nicht betrachten darf, sondern dieses vierte Freie Radio in Kirchdorf, das da jetzt im Raum, in der Schwebe steht, ist ein ganz wichtiger Schritt hin zu einer Abdeckung von OÖ, da Freie Radios ohnehin ein sehr kleines, lokales oder regionales Sendegebiet haben. Die finanzielle Sache ist ein politischer Wille, den man einfach fördern und bearbeiten muss.

Abschließend zur gesamtösterreichischen Radioszene: wie könnt ihr euch erklären, dass sich Freie Radios scheinbar hartnäckiger und besser als Kommerzielle halten können, obwohl sie im Vergleich strukturell und finanziell immer unterernährt sind?

S.H.

H.S.: Das ist auch das, was man so aus fachlichen Kreisen immer wieder mitbekommt, dass der Werbemarkt das einfach nicht trägt. Auf der anderen Seite hab ich ein bisserl den Eindruck, es gibt in Österreich ein großes »Willkommen im Freien Markt!« Aber so frei braucht der Markt dann auch wieder nicht zu sein, weil Subventionen nimmt man dann doch gern zur Finanzierung der eigentlich als kommerziell gedachten Unternehmungen. Bei den Freien Radios ist weit mehr im Vordergrund gestanden, dass wir das Recht auf Meinungsfreiheit und die Möglichkeit haben wollten, legal zu senden, und nicht: »Es muss was rausspringen dabei«. Dadurch war das immer schon als eine vom Geld eher unabhängige Geschichte angedacht. Das war halt auch nur möglich, weil eine ganze Armada von Menschen ihre Zeit und ihr Engagement unbezahlt über Jahre in diese Freien Radios investiert, und als politische Arbeit definiert hat, die so halt oft einmal nicht bezahlt ist. Und auch nicht bezahlt werden sollte, finde ich. (Zur Kellnerin) Zahlen bitte!

David Guttner ist im Vorstand der KUPF-Kulturplattform OÖ; lebt und arbeitet in Wien.

Helga Schwarzwald ist seit Anfang 2004 geschäftsführende Koordinatorin bei ORANGE 94,0. Die gelernte Juristin engagiert sich seit Jahren im feministischen und queeren Bereich.

Sandra C. Hochholzer ist eine an der Donau- Sandra C. Hochholzer ist eine an der Donau-Universität Krems ausgebildete Journalistin und seit 2003 bei FRO beschäftigt. Seit Juli 2006 ist sie Geschäftsführerin der Freien Rundfunk OÖ GmbH.