Martin Wassermair mit einem Kommentar zur kulturpolitischen Agonie im Vorfeld der Euro 08
Wiener Innenstadt, im Frühjahr 2008. Wer vom Trademark-Trommelfeuer zur Bewerbung des bislang größten nationalen Großereignisses nicht aller Sinne beraubt werden wollte, musste Augen und Ohren mit besonderer Präzision bedienen, um die wenigen Stimmen auszumachen, die der Verwertungsmaschinerie der Fußballeuropameisterschaft eine klare Absage erteilten. Allen Einschränkungen des freien Plakatierens zum Trotz waren sie dennoch vereinzelt auffindbar. Die kleinformatigen Manifestationen, auf denen linke Splittergruppen gemeinsam mit eingefleischten Fangruppen ihre Verachtung affichierten. Scheiß EM 08! So auch auf einem Baum am Karlsplatz.
Vielleicht war es genau jener Baum, der wenige Wochen später dazu ausersehen ist, eine Bühne zu bieten für »ein schräges und skurriles Panoptikum« – präsentiert von »Künstlern verschiedenster Disziplinen«, so das Versprechen des städtischen Rathauspressedienstes. Die UEFA Euro eröffne demzufolge eine Chance, »den Karlsplatz als kommunikativen und kunstaffinen Stadtraum zu definieren«, was wiederum den zuständigen Stadtrat vom »Freundschaftsspiel zwischen Fußball und Kultur« schwärmen ließ. Wie einfallsreich!
Auch in Klagenfurt suchten die Stadtverantwortlichen die Symbiose. Wahr werden soll sie mit einer interaktiven Kunstinstallation, die dazu einlädt, in einem Glaskubus möglichst lautstark und originell Zitate von Robert Musil vorzutragen. Ob es gelingt, ausgerechnet an dem EM-Austragungsort, den die Sicherheitskräfte mit ganz und gar Furcht erregenden Szenarien vom Einfall gewaltbereiter Hooliganhorden in Unruhe versetzen, die gefürchteten Rowdies zur kreativen Mitgestaltung des künstlerischen Begleitprogramms zu bewegen, soll schließlich auf einer Website weltweit zu überprüfen sein. Public viewing einmal anders. Schon seit Wochen ist unübersehbar, dass die Euro 08 vor allem eines mit sich bringt: Ausnahmezustand! Da werden Fanzonen eingegrenzt, Bannmeilen auf den Stadtplänen festgeschrieben, Ernstfälle geprobt – ja und selbst ein über den Verdacht politischen Fehlverhaltens erhabener DJ des ORF-Massensenders Ö3 musste die Playlist seiner mehrstündigen Stadionbeschallung der UEFA zur Kenntnis bringen, weil unnötige Erregung frühzeitig zu unterbinden ist. Der Stimmungsmacher Burning Down the House der legendären Talking Heads wird demnach nicht zu hören sein. Ausnahmezustand bedeutet auch, dass zwar irgendwie alle auf eine Massenhysterie eingeschworen werden, die Massen sich aber draußen vor der Tür der satten Erträge ruhig und unauffällig verhalten sollen. Die »Spielpläne der Emotionen«, wie die PR-Hymnen der vom Bundeskanzleramt in mehrfacher Millionenhöhe finanzierten Pressure-group »Österreich am Ball« unaufhörlich tönen, haben den rot-weiß-roten Schulterschluss im Visier.
Der Appell, wie »ein Mann zusammenzustehen«, verfolgt nicht die Absicht, kollektives Bewusstsein zu schärfen. Von offizieller Stelle ist keine Silbe davon zu erfahren, dass öffentliche Gelder enormen Ausmaßes in einen Event gepumpt werden, der vor allem die Konzerne in den VIP-Rängen frohlocken lässt. Während nämlich Mc Donald’s, Adidas und Coca Cola den Profit nach Hause tragen, sind immer mehr Menschen einer Teuerungslawine ausgesetzt, die den Sozialämtern massiven Zulauf beschert. Zugleich werden Polizeibefugnisse ausgeweitet und Überwachungsvorkehrungen auf den höchsten Stand der Technik gebracht. Es wäre somit fast naheliegend, dass nicht zuletzt Kunst und Kultur schon seit Monaten eine mitreißende Welle der Politisierung erzeugen müssten, um sich gegen derartige Entwicklungen aufzulehnen. Wer, wenn nicht kritische und unabhängige Projekte, Initiativen und aktivistische Medienunternehmungen, sollte in die Systeme der Kommerzwelten eindringen, um für Chaos, Störung und Unordnung zu sorgen. Doch Fehlanzeige! Ausnahmezustand bedeutet ganz ofensichtlich auch, dass die Sprintqualitäten eher bei voraus eilendem Gehorsam zum Einsatz kommen, sobald ein dicker Braten zu riechen ist. Von Verweigerung und oppositionellen Gesten sind bislang jedenfalls nur sehr wenige Spuren zu erkennen.» Auf der Suche nach einem Gemeinschaftsgefühl«, schreibt das Wiener Dommuseum, das anlässlich der Euro 08 ebenfalls mit einer Ausstellung im kulturellen Begleitprogramm die mythischen und kultischen Wurzeln der Faszination des runden Leders zu ergründen sucht, »finden viele Fans im Fußball ihre Ersatzreligion. Die geliebte Mannschaft wird für sie zur Gottheit und zusammen mit anderen Anhängern bilden sie eine Gemeinde«. Vielleicht wollen auch die Künstlerinnen und Künstler einfach nur Anschluss finden. Als Pilgerstätte sei einmal mehr die Linzer Kirche zu empfehlen, in welcher der 15-jährige Heilige Dominikus Savio mit einem Fußball abgebildet ist. Vielleicht erscheint ihnen in dessen Antlitz eine rote Karte und sie gehen noch rechtzeitig vom Platz.
Martin Wassermair ist Historiker und Vorstandsmitglied im Kulturrat Österreich www.wassermair.net