Sich/anders umschauen; aber wie?

Johanna Schaffers Auseinandersetzung mit visueller Repräsentation und Sichtbarkeit hat Kristina Pia Hofer für Sie gelesen.

 

Der Titel ist Programm ist ein gut eingelöstes Versprechen. Mit ihrer Dissertation entführt uns Johanna Schaffer auf unsicheres, unbequemes Terrain, auf dem so manches aus der marxistischen Tradition überlieferte Kochrezept der Linken zum politischen Empowerment ins (haha) Strudeln kommen wird. Ambivalenzen der Sichtbarkeit beschäftigt sich nämlich mit den Uneindeutigkeiten, mit der Repräsentation ins Politische wirkt: Was bedeutet visuelle Präsenz innerhalb hegemonialer Strukturen für minorisierte Subjekte? Übersetzt sich ein (quantitatives) Mehr an Sichtbarkeit zwingend in ein (quanti- und qualitatives) Mehr an Bestimmungsund Gestaltungsmacht? Oder setzen sich sichtbarere, als Andere markierte Subjekte vielmehr erhöht dem regulierenden Zugriff einer herrschenden Normalität aus?

Schaffers Ansatz ist dabei äußerst ambitioniert. Sie beschränkt sich nicht darauf, diese Ambivalenzen zu diagnostizieren, sondern fragt konsequent nach dem politischen Potential, das sich einer engagierten, queeren Forschungs- und politischen Praxis durch sie eröffnen könnte. Passenderweise wählt sie dazu das Instrument des In-Dialog-Bringens: die Interpretation von konkreten visuellen Texten (wie der Tranz Portraits Del LaGrace Volcanos und der Plakate der Kampagne Deutsche gegen rechte Gewalt) steht ihrer Analyse von grundlegenden theoretischen Werken zu Sehen und Visualität (von Foucault und de Laurentis über Foster, Gilman und Sekula zu Kaja Silverman, um nur einige wenige zu nennen) gegenüber. Ambivalenzen verortet sie so in der Forschungslogik von visual culture: Bilder bedeuten aufgrund der Form und Grammatik ihrer Darstellung, und werden somit genauso lesbar wie ein Text, der ausschließlich aus Sprache besteht. Und produzieren genauso soziale Realität.

In Dialog stellt Schaffer deshalb nicht nur die von ihr behandelten Texte und Theorien. Visual culture beschreibt immer noch ein hauptsächlich in englischsprachigen Räumen praktiziertes Feld, dessen Ziele und Methoden im deutschen Sprachraum als eher unüblich gelten. Vor allem in Österreich fallen diskursanalytische, ästhetisch fokussierte cultural studies (anders als z.B. die vor zehn Jahren noch ähnlich marginalen gender studies) noch um ihre Anerkennung bzw. Institutsionalisierung. Über die deutliche Verortung ihrer Dissertation im Feld von visual culture verleiht Schaffer ihrer Arbeit dialogische Bedeutung über ihre Grenzen hinaus und stellt sie in den Dienst einer Verständigung zwischen deutsch- und englischsprachigen Forschungslandschaften – ein Anspruch, den sie durch die wiederholte Gegenüberstellung von englischen Ausgangszitaten und ihren bestechenden deutschen Übersetzungen zu unterstreichen scheint.

Schaffer arbeitet sich in schwindelerregendem Tempo durch eine breite Palette von Topoi und Paradigmen, und hält nur selten inne, um Luft zu holen. Etwas zu kurz gekommen, wie ich finde, ist dabei die Analyse der von ihr ausgewählten visuellen Texte. Vor allem im Rahmen ihrer Schlußbetrachtung ließ mich diese Bündigkeit etwas unbefriedigt zurück. Nach Seiten um Seiten Lacan und Subjekttheorie schließt Schaffer mit der Abbildung einer einzigen Fotoarbeit, der sie das Potential zur Veränderung hegemonialer Strukturen zugesteht – und geht in weniger als zehn Zeilen auf deren Darstellungsgrammatik ein, um die Leserin dann abrupt fallen zu lassen. In Anbetracht des politischen Anspruch des Bandes hätte mich eine ausführlichere Beschäftigung mit eben dieser letzten Repräsentation enorm interessiert. Vielleicht liegt aber gerade in der Frustration dieser Erwartungen die Qualität von Schaffers Arbeit – Kochrezepte, wie gesagt, werden nicht verbraten. Und aktiv werden wollen kommt schließlich immer noch, hauptsächlich, vom unzufrieden sein.

Kristina Pia Hofer, Soziolgin, visual-culture-Dompteuse und Ponyexpress, beforscht und lehrt politics of representation in Linz und Wien.

Johanna Schaffer: Ambivalenzen der Sichtbarkeit. Über die visuellen Strukturen der Anerkennung. Bielefeld: transcript 2008, 197 Seiten ISBN 978-3-89942-993-0, ca. 24,80 €