Auf 13 Jahre großkoalitionäre Erstarrung folgte in den letzten knapp drei Jahren das blauschwarze Wendeprojekt; nach vier Jahren sozialistischer Chefsache Kunst versuchte Künstler-Kunststaatssekretär Morak mit dem Scheinbegriff der creative industries zu punkten. Stellungnahmen, Stimmungsbilder und Forderungen zu einzelnen, konkreten Problembereichen im Feld der Kunst, Kultur und Medien, aber auch aus dem Bildungs- und Sozialbereich liefern VertreterInnen der jeweiligen Dachverbände.
Die Austreibung der Professionalität Drei Jahrzehnte lang konnten österreichische SchriftstellerInnen wenigstens vermuten, Kulturpolitik in Österreich sei an den sozialen, rechtlichen und wirtschaftlichen Begleitumständen ihrer Arbeit interessiert. In den letzten zweieinhalb Jahren ist klar geworden, nicht jede.
Die Entprofessionalisierungsmaßnahmen in der abgelaufenen Legislaturperiode beginnen bei einer „Künstlersozialversicherung“, die keine ist, sie setzen sich fort mit einem „Künstlerpensionsversicherungszuschussfonds“, bei dem sich in zwei Jahren gerade fünf Dutzend SchriftstellerInnen gemeldet haben, obwohl es jährlich alleine mehr als 1.000 literarische Buchneuerscheinungen in österreichischen Verlagen gibt, und sie enden bei der Kürzung der Honorare für HörspielautorInnen um 50 Prozent und dem Hinauswurf von Kulturprogrammen aus dem ORF. Dazwischen wurden die verkaufbaren österreichischen Kulturinstitute verkauft und die Auslandskulturarbeit den Botschaften unterstellt und ganz zum Schluss soll auch noch der Österreichische Bundesverlag zum Schleuderpreis abverkauft werden.
Damit nur ja niemand mehr auf die Idee kommen kann, schriftstellerisches Arbeiten mit einer beruflichen Tätigkeit gleichzusetzen, hat sich auch der Markt den einen oder anderen Entprofessionalisierungsbeitrag einfallen lassen. Z.B. durch den privaten Wiederverkauf im Online-Buchhandel oder durch die Erhöhung der Buchhandelsspannen beim Bücherverkauf durch Warenketten. Im Fall des Buchwiederverkaufs erhalten die AutorInnen überhaupt keine Tantiemen mehr, im Fall der größeren Buchhandelsspannen werden die Tantiemen der AutorInnen um bis zu einem Drittel nach unten gedrückt.
Ungeachtet dessen hat sich Kulturpolitik in den letzten zweieinhalb Jahren „bessere Rahmenbedingungen“ für künstlerisches Arbeiten zur Aufgabe gemacht. Die „Verbesserung“ dieser Rahmenbedingungen hat sich allerdings im Wesentlichen auf die Weiterverwaltung des schon vor dieser Legislaturperiode erreichten Status quo der „Chefsache Kunst“ beschränkt, weshalb es bei einer Fortsetzung der jetzigen Regierungskonstellation und ihres Sparkurses bei Kunstförderungen und in der öffentlichen Verwaltung nur logisch wäre, die Funktion eines Kunststaatssekretärs überhaupt abzuschaffen und die Weiterverwaltung dem höchsten Beamten der Kunstsektion, dem Kunstsektionschef, zu überlassen.
Es ist ganz offensichtlich, dass das kulturpolitische Verständnis in den letzten zweieinhalb Jahren wieder zu einer Auffassung der 50er Jahre zurückgekehrt ist: Künstlerische Tätigkeiten sind Privat- und Freizeitvergnügungen, wenn einem nichts Besseres einfällt.
Gerhard Ruiss, [IG Autorinnen/Autoren|http://www.literaturhaus.at/lh/ig]
Die Ausschaltung der Kunst aus dem ORF Im Juli 2001 ist das von der schwarz-blauen Bundesregierung beschlossene ORF-Gesetz in Kraft getreten. Es sollte den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stärken, den ORF entpolitisieren und starke Rechte für das Publikum einräumen. Doch am 26.9.2002 ist – massiven monatelangen Publikumsprotesten zum Trotz – die letzte Sendefläche für Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen verschwunden: Die kunst-stücke hatten ihren letzten Sendetag. Im Oktober hat die ORF-Programmreform einen weiteren Kahlschlag von Kunst und Kultur ausgelöst.1
Die so genannten „starken Rechte“ können die kunstinteressierten GebührenzahlerInnen ausschließlich auf dem juristischen Weg einfordern, denn auch der Staatssekretär für Kunst und Medien (Franz Morak) fühlt sich leider nicht angesprochen. Wie er sich im konkreten Anlassfall für die Interessen der von ihm zu vertretenden Kunstschaffenden, für die „Schaffung von stimulierenden Rahmenbedingungen und Entfaltungsmöglichkeiten für Künstlerinnen und Künstler“ (Regierungsprogramm) einsetzen wird? Dazu gibt es nur den knappen Hinweis, keinen Einfluss nehmen zu können und zu wollen.
Aber auch dieses ORF-Gesetz enthält einen Programmauftrag, der zu erfüllen ist! Der ORF hat Auftraggeber, Arbeitgeber und Forum österreichischer Kreativität und Gegenwartskunst zu sein, sich durch hohe Qualität auszuzeichnen und auf seine Unverwechselbarkeit gegenüber Privatsendern zu achten. Die Kulturpolitische Kommission fordert daher die sofortige Wiederaufnahme der Sendung kunst-stücke, die Wiederaufnahme sämtlicher Sendetypen für Kunst, die im ORF in den letzten Jahren schleichend verschwunden sind sowie ein ständiges Reagieren auf die Präsentations- und Vermittlungsnotwendigkeiten von zeitgenössischer Kunst. Entsprechende Sendungen müssen zu publikumsfreundlichen Zeiten eingerichtet werden.
1 Die ORF-Verantwortlichen ignorieren weiterhin alle Protestmaßnahmen, obwohl mittlerweile auch die ORF-KulturredakteurInnen der Generaldirektion Quotenlüge, Gebührenlüge, Sendeplatzlüge und Österreichlüge vorgeworfen haben.
Daniela Koweindl, [IG Bildende Kunst|http://www.igbildendekunst.at]
KünstlerInnen sozial versichern Die Idee ist einfach: KünstlerInnen werden bei Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung ArbeitnehmerInnen in etwa gleichstellt, wobei die Dienstgeberbeiträge teils vom Staat und teils von Kunst-Verwertern getragen werden. Die KünstlerInnen selbst bezahlen ihren Anteil wie DienstnehmerInnen. Es gelten die selben Grenzen (z.B. die Höchstbemessungsgrundlage) wie für alle anderen Erwerbstätigen. So sehen – in Grundzügen – nach wie vor die Forderungen der Interessenvertretungen der KünstlerInnen (IG’s und Gewerkschaft) aus.
Die Realität schaut anders aus: KünstlerInnen werden in die Versicherung zwangsrekrutiert, ohne die Möglichkeit, aus privaten Versicherungsverträgen (die verantwortungsbewusste Menschen schließen mussten) verlustfrei auszusteigen. Kranken- und Unfallversicherung müssen sie nach wie vor zur Gänze selbst bezahlen, nur zum Pensionsversicherungsbeitrag gibt es für diejenigen einen Zuschuss, deren Einkommen nicht unter 3.618,48 Euro und nicht über 19.621,67 Euro im Jahr liegt (die Höchstbemessungsgrundlage liegt beim Doppelten). Der Zuschuss wird vom Künstlersozialversicherungsfonds ausbezahlt, wenn jemand „aufgrund seiner künstlerischen Befähigung im Rahmen einer künstlerischen Tätigkeit Werke der Kunst schafft.“1 Der Funke der Begabung ist notwendig, denn „was also mehr oder weniger jeder mit durchschnittlichen Fähigkeiten ausgestattete Mensch bei Anwendung gehörigen Fleißes […] herzustellen vermag, […] ist kein Kunstwerk“.2
Besonders prekär sind KünstlerInnen dran, die bei der Gebietskrankenkasse krankenversichert waren und in der Übergangszeit zum Kinderbetreuungsgeld ein Kind bekommen haben. Anspruch auf das Kinderbetreuungsgeld haben sie nicht. Eventuell erhalten sie das so genannte Ersatzkarenzgeld des Bundeskanzleramts, das niedriger ist und wesentlich kürzer ausbezahlt wird. Eine Krankenversicherung ist nicht darin enthalten, sodass KünstlerInnen Beiträge bezahlen müssen (damit verlieren sie die Anrechnung der Kinderbetreuungszeiten auf die Pension) oder sie bleiben unversichert – eine unzumutbare Situation. Alle diese Mängel und Lücken (kein Anspruch auf Vollständigkeit!) harren der Behebung.
1 Künstler-Sozialversicherungsfondsgesetz BGBl 131/2000 2 Aus dem Kriterienkatalog des Künstler-Sozialversicherungsfonds
Juliane Alton, [IG Freie Theaterarbeit|http://www.freietheater.at]
Der Rahmen von Ehre, Amt und Funktion 2001 zelebrierte die blauschwarze Regierung mit beträchtlichem Aufwand das von der UNO ausgerufene „Internationale Jahr des Ehrenamts“. Zwei Festakte in der Hofburg, ein Nationalkomitee, acht Arbeitskreise, eine parlamentarische Enquete u.v.m. im Dienste der guten Sache? Geblieben ist nicht viel, und das wenige hinterlässt einen schalen Nachgeschmack von Bürgergesellschaft à la Khol. Anstatt ernsthaft die (oft vorgebrachten) Vorschläge zur Verbesserung der Rahmenbedingungen gemeinnütziger Vereine – wo ehrenamtliche Arbeit täglich geleistet wird – abzuarbeiten, waren die Einführung eines „Ehrenamtsoscars“ und die Einführung eines „Ehrenamtspasses“ weit wichtiger. Anstatt gemeinnützige Arbeit durch steuerliche Besserstellung, rechtlich klare und verständliche Grundlagen, soziale Sicherheit weiterhin zu ermöglichen oder gar zu erleichtern, wird lieber der Wille zur Selbstausbeutung propagiert und im Fernsehen bei Vera abgefeiert.
Im Konkreten hat Blauschwarz es verabsäumt, im Rahmen der Neufassung der Vereinsrichtlinien (steuerrechtliche Regelungen für Vereine) auch Verbesserungen vorzusehen, der neoliberalen Fata Morgana Nulldefizit zuliebe. Das neue Vereinsgesetz, dem eigentlich zuständigen Arbeitskreis des Ehrenamtsjahres vor den Latz geknallt, verschärft Haftungsfragen und Rechnungslegungspflichten, und bringt so nebenbei WirtschaftsprüferInnen und SteuerberaterInnen neue Kundenschichten. Das zu schaffende elektronische Zentrale Vereinsregister lässt an EKIS denken. Die tägliche Arbeit im Verein wurde keineswegs erleichtert, eher schon das (abgesicherte) Geschäfte-Machen mit Vereinen.
Themen wie Verteuerung des Zeitungsversandtarifs, Kürzungen der Förderungen in allen Bereichen etc. sind zur Genüge abgehandelt, auch Fragen der sozialen Absicherung der/s Einzelnen (siehe auch Artikel S. 24). Künftige Regierungen werden sich nicht zurücklehnen können und sich mit kleinen Reparaturen und Verbesserungen hie und da profilieren können. Die Aufmerksamkeit und die Erwartungshaltungen besonders an eine Mehrheit jenseits von Blauschwarz sind groß.
Udo Danielczyk, [Kulturplattform OÖ|https://kupf.at, http://www.igkultur.at] Vorstand IG Kultur Österreich
Medien im Sinne der Vielfalt Freie Radios: Gesetzesänderungen sind notwendig. Europaweit liefern sich die öffentlich-rechtlichen Sender und die privaten kommerziellen RadiobetreiberInnen seit den jeweiligen nationalen Rundfunkliberalisierungen einen Kampf um Quoten, bei dem Inhalte abseits von Marktinteressen zunehmend aus den Programmen der öffentlich-rechtlichen Sender verschwinden.
In Österreich hat sich der Sektor der nichtkommerziellen Freien Radios trotz erheblicher politischer und wirtschaftlicher Gegentendenzen in den vergangenen Jahren zu einem unverzichtbarem Teil der Medienlandschaft entwickelt. Minderheitensprachliche Sendungen finden in relevantem Ausmaß fast nur noch in den Programmen der Freien Radios Platz. Der ORF trägt in keiner Weise der Realität einer multikulturellen Gesellschaft in Österreich Rechnung. Ähnlich ist die Entwicklung in den Bereichen Literatur, Regionalkultur und Kunst, als jüngstes Beispiel sei hier nur die Einstellung der Sendereihe Kunststücke im ORF erwähnt.
Ob die Freien Radios diese Aufgaben weiterhin ausfüllen können, ist ungewiss. Die finanzielle Situation hat sich in den letzten Jahren durch sinkende Kulturbudgets auf lokaler sowie regionaler Ebene verschärft. Noch schlimmer traf die Freien Radios, dass nach Antritt der schwarz-blauen Regierung die Bundesförderung im Jahr 2000 kurzerhand auf ein Drittel des Vorjahresansatzes gekürzt wurde. Im Jahr 2001 letztendlich wurde die Bundesförderung von Staatssekretär Morak komplett und ersatzlos gestrichen.
Um eine weitere Entwicklung des dritten Radiosektors auch in Österreich auf europäischem Niveau sicher zu stellen, muss dringend eine klare rechtliche Abgrenzung der Freien Radios zu kommerziellen Radios auf gesetzlicher Ebene geschaffen werden. Eine eigene Fördereinrichtung im Rahmen einer wirklich unabhängigen Bundesmedienanstalt soll dann über ein österreichisches Modell des Gebührensplittings für die entsprechende Basisfinanzierung der Freien Radios verantwortlich sein. Dafür sollen jene Teile der Rundfunkgebühren herangezogen werden, die bereits jetzt am ORF vorbeifließen.
Die Förderung von Freien Radios mit einem eigenen Budget von mindestens 5 Mio. Euro muss verankert werden. Der Dritte Sektor übernimmt in der heutigen Gesellschaft eine Rolle mit wachsenden Aufgabenbereichen, die mehr und mehr auch Teile des „Public Service“ abdecken. Den BürgerInnenmedien kommt hier mit der Vermittlung von Medienkompetenz und Demokratiebewusstsein eine Schlüsselstellung zu. Die Stelle eines/einer Bürgermedienbeauftragten innerhalb einer unabhängigen Medienanstalt soll hier speziell für die permanente Weiterentwicklung und kompetente Betreuung dieses Medienbereiches zuständig sein.
Helmut Peissl/Wolfgang Hirner Verband Freier Radios Österreich [http://www.freie-radios.at| http://www.freie-radios.at] [http://www.freie-medien.at|http://www.freie-medien.at]
Medien – Die Seele des Landes!? Für diesen Text befragte ich www.google.at nach den Schlagworten „Staatssekretär.Morak.Internet“, um O-Töne des politisch Verantwortlichen für Kunst- und Medienpolitik in Erinnerung zu rufen. Und da fand ich den Satz: „Medien sind die Seele des Landes!“ (9. Medientage in Wien, September ’02). Was ich aber ganz und gar nicht finden konnte, waren Stellungnahmen zum Thema „Netzkultur“ und den jahrelang vorgetragenen Forderungen von KünstlerInnen und Kulturschaffenden für ein Verständnis von Internet als demokratiepolitisch relevantes emanzipatorisches Projekt und als öffentliche Sphäre.
Hatte einst Viktor Klima mit seiner Aussage, das Netz müsse für KünstlerInnen gratis zugänglich sein, noch die Hoffnung erweckt, es könnte mit viel Aufklärungs- und Lobbyingarbeit vielleicht doch bis zu den politisch Verantwortlichen durchdringen, dass die neuen Technologien nicht ausschließlich der marktwirtschaftlichen Dynamik überlassen werden können, so war ab Februar 2000 eine völlig andere Gangart angesagt. Kunst- und Kulturpolitik verkam zum creative industries-Blabla. Kreatives künstlerisches Potential zum Behübschungs- und Designfaktor. Die bereits bestehenden Netzkulturknoten galten plötzlich nur mehr als Provider, Strukturen, die mit kommerziellen Anbietern in einen Topf geschmissen wurden und im Falle kritischen Contents betreff Regierung gar um ihre Existenz bangen mussten.
Wenn Medien nun die „Seele des Landes“ sind, dann ist wohl immanent, dass es hier nicht nur um Oberflächengestaltung und wirtschaftliche Relevanz gehen kann. Essentiell sind Rahmenbedingungen für eine von der Verwertungslogik des Marktes unabhängige reflexive und kritische Auseinandersetzung mit den Werkzeugen der Informationsgesellschaft, die als öffentliche Sphäre zugänglich sind. Das konsortium.Netz.kultur fordert daher weiterhin den Austrian Cultural Backbone: + breiter Public Access + Freier Zugang zu Bandbreite für Kunst und Kultur + Verstärkte Förderung von Infrastruktur + Förderung von autonomen, flexiblen Netzwerkknoten (im Gegensatz zu Multimedia-Zentren)
Gabi Kepplinger, [konsortium.Netz.kultur|http://www.konsortium.at] Vorstand [servus.at|http:/www.servus.at] und [Stadtwerkstatt Linz|http://www.stwst.at]
Unser Sozialstaat – Grundlage allgemeinen Wohlstandes Der solidarische österreichische Sozial- und Wohlfahrtsstaat trägt viel zur Sicherung von Arbeitsplätzen und zum allgemeinen Wohlstand bei. Das international viel beachtete „Österreichische Modell“ zeichnet sich durch hohe Qualität aus. Gleichzeitig ist es erwiesenermaßen auch sehr ökonomisch: Es kostet 28% der gesamten jährlichen Wirtschaftsleistung. Damit liegen wir kostenmäßig, trotz Top-Qualität, in Europa „nur“ im Mittelfeld: Unser Sozialstaat verteilt keine Almosen an BittstellerInnen, sondern er garantiert Rechte auf Leistungen, wenn bestimmte Lebensrisiken eintreten: Krankheit, Unfall, Behinderung oder Invalidität, Arbeitslosigkeit etc. sind Gefahren, die jeden und jede treffen können. Vergessen sollte auch nicht werden, dass dieses Modell ein Versicherungssystem ist, zu welchem jede/r seinen Beitrag leistet und das nachgewiesenermaßen eine starke vorbeugende Wirkung gegen Armut hat.
Trotzdem: kein undifferenziertes Beharren auf dem Status quo! Trotz seiner hohen Qualität sehen wir unseren Sozialstaat nicht nur unkritisch. Er gehört zum eher konservativen Typus unter den europäischen Sozialstaaten. Stark ausgerichtet am männlichen, inländischen Alleinverdiener, der zeitlebens der gleichen Tätigkeit nachgeht, reproduziert er zum Teil soziale Ungerechtigkeit. Er reagiert nicht ausreichend auf veränderte Beschäftigungsverhältnisse und steigende Arbeitslosigkeit und diskriminiert in erheblichem Ausmaß Alleinerziehende, MigrantInnen und atypisch Beschäftigte. Eine Alternative böte das „universalistische“, in Skandinavien beheimatete Modell: hohe Grundversorgung gegenüber sozialen Risiken, ergänzt durch eine besondere Schutzfunktion gegenüber den sozial schwächsten Schichten.
Wie weiter? „Sozialstaat Österreich“ wollte als Bewegung immer über das Ende der Eintragungsfrist für das Volksbegehren hinaus bestehen bleiben. Soziales wurde als politisches Thema wichtiger und dazu wurde auch nach dem 10. April 2002 einiges beigetragen: zahlreiche Veranstaltungen, Weiterarbeit an der Vernetzung mit anderen sozialen Bewegungen, Sozialstaatszeitung usw.
Hans Riedler, Rudolf Lehner [Volksbegehren Sozialstaat|http://www.sozialstaat.at, office@sozialstaat.at]
Bildungspolitik auf neuer Fährte Das Auseinanderbrechen der schwarzblauen Koalition wird in Bezug auf bildungspolitische Maßnahmen sehr begrüßt und lässt wieder etwas Hoffnung auf eine Richtungsänderung in diesen Fragen aufkeimen. Die Rücknahme der Studiengebühren wird von SPÖ und Grünen sowieso stark proklamiert und im Falle einer rot-grünen Koalition wahrscheinlich auch durchgesetzt. Bei dieser Rücknahme kann es allerdings nicht bleiben, da die Eingriffe, die das Gehrer’sche Universitätsreformgesetz beinhaltet, zu tiefgreifend waren. Es müssen jetzt auch wieder die Fragen der Universitätsstrukturen neu diskutiert werden und vor allem die Verschlechterung der Mitsprache der Studierenden zurückgenommen werden.
Vor allem die Abschaffung der Studienkommissionen, die interne Fragen der Lehre und der Organisation der Studien behandelte und eine Parität zwischen ProfessorInnen, Mittelbau und StudierendenvertreterInnen aufwies, darf nicht umgesetzt werden. Eine solche Schwächung der Studierenden bei der Mitbestimmung würde nämlich dazu führen, dass bei einer zukünftigen Erstellung von Studienplänen die Sicht der Lernenden nicht mehr einfließen würden.
In einem offenem Brief der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) an Bundesministerin Gehrer werden verstärkt die Absicherung von demokratischen Strukturen, ein gesetzlich verankertes Studienrecht, Sicherstellung der Finanzierung der wissenschaftlichen Vielfalt (inklusive der so genannten „Orchideenfächer“), Gleichbehandlung und Frauenförderung und eine mittelfristige Qualitätssicherung mit einer langfristigen Qualitätssteigerung der Lehre gefordert. Hierzu müssen verstärkt aktuelle Lehrinhalte in die Studienpläne einfließen.
Neben den erwähnten Studiengebühren, die bereits in den ersten beiden Semestern nach der Einführung zu einem 15-%igen Absinken der Neuinskribierten führten, ist es auch zu einer Verschlechterung der sozialen Situation für StudentInnen gekommen. Das neue HochschullehrerInnendienstrecht bringt zusätzlich auch noch einen Qualitätsabbau der Lehre. Damit ein neues Universitätsgesetz auch den Namen Reform verdient, muss auch dieser Punkt noch genau überarbeitet werden.
Horst Scheiböck, [ÖH Kunstuniversität Linz|http://www.ufg.ac.at, http://www.oeh.at]