Jeder für sich und Gott für alle!

Fragen an das vereinte Europa, (Teilunion) Österreich stellt

 

von Rosa Martl

1998 ist das Gründungsjahr des Vereins Ketani (gemeinsam) für Sinti und Roma in Linz. Autochthone Sinti und Roma gehören seit 1993 offiziell zu den rechtlich anerkannten Volksgruppen in Österreich.

Laut Schätzungen der Gesellschaft für bedrohte Völker1 lebten im ehemaligen Jugoslawien vor dem Krieg an die 150.000 Roma. Ein Großteil ist im Laufe des Krieges und der folgenden Konflikte in die anliegenden Länder und nach Westeuropa geflohen. Einige Frauen kamen auch nach Linz, suchten Unterstützung bei unserem Verein. Diesen Flüchtlingsfrauen mangelt es an allem. Unterkunft, Verpflegung, Kleidung, finanziellen Mitteln. Die Möglichkeit Arbeit zu finden ist sehr problematisch. Es gibt vom Arbeitsamt gelbe und weiße Karten. Ein Beispiel aus der Praxis: Ich gehe mit Frau U. zum Arbeitsamt. Sie hat eine weiße Karte und ist bei einer Firma angemeldet. Ihr monatlicher Verdienst ca. 285.- Euro. Nun hat sie der Lebensgefährte verlassen, sie steht mit 2 kleinen Kindern da. Kindergartenplatz und eine Kindergrippe gäbe es. Sie braucht mehr Geld, sprich: Arbeit und mehr Stunden. „Geht nicht“ sagt das Arbeitsamt. Sie hat nur eine weiße Karte. So schnell gebe ich nicht auf. „Ich suche für Frau U. einen Arbeitsplatz“, biete ich an. „Geht nicht“, sagt das Arbeitsamt, erst muss diese Stelle von einem Österreicher oder einer Person mit einer gelben Karte besetzt werden. Ich kapiere es nicht: „Ich suche eine Firma, welche Frau U. anfordert“, argumentiere ich. „Diese Firma dürfte sie dann auch nicht nehmen, erst kommen Österreicher, dann gelbe Karten, die mit der weißen Karte müssen ein Jahr lang auf die gelbe Karte warten. Neuestes Gesetz vom Innenministerium, erlassen Oktober 2002.“ Bedauerndes Schulterzucken seitens des Arbeitsamtes. Ich glaube, ich hab es begriffen: Die Utopie, der Traumzustand von null Prozent Arbeitslosen muss zuerst erreicht werden, damit Frau U. ihren Lebensunterhalt mittels Arbeit bestreiten kann. Verstehe dieses Gesetz, wer da wolle. Ich kann es nicht. Für Roma-MigrantInnen aus Ex-Jugoslawien bieten sich hauptsächlich Tätigkeiten im Bereich Reinigung an. Es fehlen Deutschkenntnisse, manchmal eine ausreichende Grundschulbildung – und die gelbe Karte. Diese Menschen haben viel gelitten, Familienangehörige und die alte Heimat verloren. Einige Familien haben den Druck, der hier, in der neuen Heimat, entstand, nicht ausgehalten. Sie sind auseinander gebrochen. Trennungen, Scheidungen waren die Folge.

Ein Zurück ist unmöglich, ja lebensgefährlich. Die über tausendjährige Geschichte der Verfolgung der Sinti und Roma in Europa zeigt, dass nur sehr wenige Menschen bereit sind und waren, zu helfen, wenn sie in Not geraten. Man kann diesen Frauen helfen. Benötigt werden: Deutschkurse, Erwerb der Grundkenntnisse in Deutsch, Mathematik, Lesen und Schreiben, und vor allem Arbeitsgenehmigungen: Ich frage: Was soll das für ein vereintes Europa werden, wo einige den Gedanken pflegen: Jeder für sich und Gott für alle! Wo und wie wird es für Sinti und Roma ein Zuhause geben?

1 Siehe: Tilman Zülch, Paul Polansky: Unter den Augen der KFOR: Massenvertreibungen der Roma, Aschkali und Kosovo-Ägypter (5. Auflage) Gesellschaft für bedrohte Völker (Hg.), Göttingen 2000. Rosa Martl Verein Ketani