Dem Thema der aktuellen Innovationstopfausschreibung nähert sich Michael Praschma.
Der ganz gut dotierte 10. Innovationstopf trägt den Titel ?Lebendige Archive?. Die KUPF hat dem Autor angetragen, sich aus Sicht einer KI mit dem Ausschreibungstext zu befassen. Hier also gewissermaßen ein Besinnungsaufsatz von der Basis. (Bei den kursiv gedruckten Passagen handelt es sich um großteils wörtliche Zitate aus der Innovationstopf-Ausschreibung.)
Klar haben wir ein Archiv – Guten Morgen Vorchdorf gibt es ja seit 1990, da sammelt sich schon was an. Mal sehen: einige Meter Aktenordner; darin 14 Jahre Protokolle sowie Finanzberichte und -belege. Presseartikel. Mappen mit Konzepten und Projektbeschreibungen. Schuhkartons voller Programme. Ein dicker Stapel Veranstaltungsplakate. KUPF-Geschichten. Präsentationen für Sponsoren und Förderer?
Das meiste lagert in der Kitzmantelfabrik im Büro, das selten benützt wird. Der Zugang dazu ist versperrt. Allerdings könnte sich jede und jeder Aktive im Verein den Schlüssel besorgen und in diesen Papier gewordenen Erinnerungen nach Lust und Laune herumstöbern. Macht aber kein Mensch. Was für Neuzugänge spannend wäre, hat seit etwa einem Jahrzehnt keiner mehr eines Blickes gewürdigt. Der Gralshüter dieses Archivs (es handelt sich um den Autor selbst) hält aber auch nicht dieses archivierte Wissen unter Verschluss – im Sinne von Wissen ist Macht und aus Scheu vor dem Konflikt mit der Next Generation. Ganz im Gegenteil: Viel lieber wäre es ihm, er müsste sich nicht darum kümmern, sondern, sagen wir mal, der Schriftführer würde sich hinsetzen und dieses ganze Wissen spannend und erfahrbar machen und so eine aktive Partizipation für alle Interessierten im Verein ermöglichen.
Vergangenheit statt Zukunft in den Mittelpunkt? Szenenwechsel. Vor kurzem haben wir eine Zukunftswerkstatt absolviert. Eine Vision für das Jahr 2010 ist entstanden. Dafür reservieren wir gerade einiges an Zeit. Passt da überhaupt noch eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit herein – inhaltlich, aber auch zeitlich? Immerhin: Zugänge und Zugangsmöglichkeiten zu eröffnen war ein Thema dieser Werkstatt. Der Verdacht, der Verein wirke auf Außenstehende bzw. zukünftige MitarbeiterInnen nicht einladend, stand unwidersprochen im Raum. Und ein Ziel war sinngemäß auch die aktive Mitgestaltung von Lebensbedingungen im Rahmen von Kulturarbeit. Könnte es also sein, dass es gar keinen Konflikt zwischen Zukunftsplanung und Beschäftigung mit einem lebendigen Archiv gibt? Beim Sinnieren darüber fällt mir ein hervorgehobener Satz in der Ausschreibung auf: …wobei Archiv hier in jedweder Form zu begreifen ist. Tatsächlich, es gibt bei uns auch noch ein ganz anderes „Archiv“ – nämlich die in vielen Jahren entstandenen ungeschriebenen Gesetze für die Arbeit im Verein: Wer entscheidet schon im Vorfeld über Dinge? Welche Rollen gibt es? Wer darf selbstständig was?
Solche Normen sind es wahrscheinlich (noch viel mehr als die Kenntnis z.B. alter Vorstandsprotokolle), die Wissen als Macht bedeuten. Denn wer diese Normen nicht kennt, muss viel fragen, bevor er oder sie etwas tut. Und genau das verhindert, dass Dynamik in starre, tradierte Systeme kommt, zu denen auch ein Kulturverein wie der unsere teilweise zählt. Dieser Kunstgriff, den Archiv-Begriff auszuweiten, könnte wirklich der Steigbügel sein, mit dem die Phantasie für den Innovationstopf aufs Pferd kommt. Denn es ist ja noch nichts damit erreicht, hoffnungsvolle junge Leute einzuladen, sich in einen verstaubten Raum zu setzen und dort Akten zu wälzen.
Man könnte z.B. ein Spiel daraus machen: Im Verein und meinetwegen auch in der Bevölkerung wird gezielt gefragt, was man sich für Vorstellungen über Geschichte, Aufbau, Aktivitäten, Regeln usw. der Kulturarbeit des Vereins macht. Die Antworten werden dann an der gegenwärtigen Realität bzw. an der Vergangenheit überprüft. Das Archiv ist Instanz für die Gegenüberstellung. Archiv kann dabei eben auch die erst zu reanimierende Erinnerung von Vereinsfossilen sein (mindestens ein solches ist fast überall noch aktiv).
Mit dem Archiv die Macht demokratisieren Was mit dieser Form der Geschichtsaufarbeitung weiter geschieht, ob und wie das medial um- und eingesetzt werden kann, um sich im neuen Jahrtausend neuen Herausforderungen zu stellen und um das Absichern der eigenen Schrebergärten zu überwinden – dazu müssen dann eben innovative Ideen und Vermittlungsstrategien entwickelt werden, und zwar mit starkem regionalem oder lokalem Bezug. Noch einmal zurück zu Wissen ist Macht: Eine Voraussetzung dafür, dass ein Archiv Macht verleiht, ist allerdings, dass es benutzt wird. Das archivierte Wissen (ob nun auf Papier, Datenträgern oder in Köpfen) zu erschließen und einer ganzen Gruppe verfügbar zu machen, das würde nun bedeuten, dass eben die ganze Gruppe an Macht gewinnt.
Neben dem Motivationsschub für MitarbeiterInnen, die auf einmal wirklich Bescheid wissen, liegt hier ein reizvoller Aspekt, den die Ausschreibung zum Innovationstopf gar nicht direkt nennt: Denn die Position der meisten Kulturinitiativen in ihrem Umfeld ist eher eine machtlose. Wenn ich allein daran denke, bei welchen Gelegenheiten wir besser hätten punkten können, wenn wir alle Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit der Gemeinde präsent gehabt hätten… Da möchte ich gar nicht mehr alle Ideen publizieren, die mir kommen – nur für den Fall dass wir doch den Ehrgeiz entwickeln, uns um den Innovationstopf zu bewerben.
Michael Praschma