Andreas Orukambe im Gespräch mit Rosa Martl vom Verein Ketani.
Lustig ist das Zigeunerleben. So lustig, dass ihm in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten ein Ende gesetzt wurde. Lustig bis zur Vergasung. Um die Roma und Sinti, die ihrer systematischen Ermordung gerade noch entgehen konnten, um ihre Rechtsansprüche, ihren Beistand und ihren Schutz vor Anfeindungen aller Art kümmert sich der Linzer Verein Ketani. Ein Gespräch mit der Ketani-Generalsekretärin Rosa Martl, die im Buch „Uns hat es nicht geben sollen“ unter ihrem Namen Gitta schreibt.
KUPF: Frau Martl, Sie haben an der Wanderausstellung „Wege nach Ravensbrück“ und am Film „Vom Leben und Überleben“ mitgewirkt. Soeben ist dazu noch das Buch von Ihrer und über Ihre Familie erschienen. Wie ist es dazu gekommen, und was war Ihre Absicht hinter dieser Publikation?
Martl: Dass die Wanderausstellung, der Film und die Filmreihe „Die allerschönsten Frauen. Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ nach Linz gebracht wurden, verdanke ich meiner Tätigkeit im Verein. Im Zuge der Erwachsenenbildung und als weiterer Beitrag zum Thema „Frauenschicksale unter dem NS-Regime“ fanden diese Veranstaltungsreihen statt.
Als Ihre Mutter Rosa Winter im Salzburger Sammellager Maxglan interniert war, kam sie in den zweifelhaften Genuss, für die Nazi-Filmerin Leni Riefenstahl als Statistin zu arbeiten. Der freundlichen Intervention von Frau Riefenstahl verdankt Ihre Mutter die strafweise Deportation ins Konzentrationslager Ravensbrück. Der ungeheurlichen Lüge Riefenstahls, sie hätte „alle ehemaligen Statisten nach 1945 wohlbehalten wiedergesehen“, konnte Ihre Initiative allerdings einen Riegel vorschieben. Wie ist Ihnen das gelungen?
Ich bin überzeugt, dass meine Mutter auch ohne „Unterstützung“ von Frau Riefenstahl in ein KZ gekommen wäre. Es war eine politische Aufgabe des NS-Regimes, das Deutsche Großreich frei von Juden und Zigeunern zu machen. Mit allen ihnen damals zur Vernichtung stehenden Mitteln. Dass Frau Riefenstahl ihre Aussage, sie hätte alle Sinti-Statisten nach 1945 wohlbehalten wiedergesehen, vor Gericht zurücknehmen musste, war für uns alle ein Erfolg. Der Filmemacherin Frau Nina Gladitz war es ursprünglich zu verdanken, dass Frau Riefenstahl deswegen vor Gericht gestellt werden konnte. Ich glaube nicht, dass Frau Riefenstahl die politische Macht hatte, allen Statisten das Leben zu retten. Doch sie hatte nicht einmal versucht, auch nur ein einziges Menschenleben zu retten, und das ist hart zu verurteilen. Sie wusste mit großer Sicherheit, dass die Statisten ins Gas gingen.
Aber auch die Republik Österreich hat es Ihnen und Ihren Angehörigen nicht leicht gemacht. Permanente Wickel mit den Behörden gipfelten in der Monate langen Inhaftierung Ihres Cousins, weil er in Wels hausieren ging und von der Exekutive des Fahrraddiebstahls verdächtigt wurde …
Es war damals für unsere Familie nicht leicht. Unsere Großmütter und Väter sowie Onkeln, Tanten und sonstigen näheren Verwandten waren zu 98 Prozent in den KZ-Lagern ermordet worden. Den wenigen Überlebenden, die uns von Zeit zu Zeit in Linz besuchen wollten, machte man das Leben schwer, indem man sie dauernd unter fadenscheinigen Anschuldigungen in Haft nahm. Das führte natürlich zur Isolation unserer kleinen Familie in Linz.
Stichwort Staatsbürgerschaft: Obwohl Ihre Mutter in Österreich zur Welt kam und hier, wie es heißt, den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hatte, galt sie nach dem Krieg als staatenlos und musste um Staatsbürgerschaft ansuchen, um wenigstens eine Rente zu erhalten.
So erging es vielen Sinti und Roma nach 1945 in Österreich, die aus den verschiedensten KZ-Lagern zurückgekommen waren. Über diese Art von „Heimkehrern“ waren die wenigsten erfreut. Erst 1991, nach Jahre langem Bemühen, die österreichische Staatsbürgerschaft und damit eine KZ-Rente für meine Mutter zu bekommen, hatten wir unser Ziel erreicht.
Welche weiteren Initiativen wird Ihr Verein setzen?
Wir wollen unsere geplante Sinti-Wanderausstellung „Geh mit mir ein Stück des Weges“ fertigstellen und noch einige Bücher herausgeben, da wir der Meinung sind, dass für die Aufarbeitung der Geschichte seitens der Sinti und Roma noch kaum etwas geschehen ist.
Ihre Mutter schreibt: „Und jetzt habe ich einen Reisepass und komme nirgends mehr hin“. Welche Bedeutung hat für Sie heute das so genannte Herumzigeunern, und wie, meinen Sie, werden die nächsten Sinti- und Roma-Generationen damit umgehen?
Für meine Mutter ist es sehr schwer, wie sie selbst sagt, in ihrer „ersten und letzten Wohnung“ zu sein, während am Campingplatz Asten Sinti und Roma ein paar Tage verweilen und wieder weiterziehen, und sie kann nicht mit. Damals wie heute diente das Herumfahren dem Broterwerb. Dass man zusätzlich mit seiner Familie und Freunden beisammen sein kann, ist natürlich der schönste Aspekt dabei. Wie es in Zukunft weitergehen wird, kann man noch nicht sagen. Da spielen viele politische und wirtschaftliche Faktoren eine Rolle.
Mehrfach kommt sowohl im Film als auch im Buch das Glück in der (Groß-)Familie und der Glaube an Gott als Bewältigungsmöglichkeit der vielen Diskrimierungen zur Sprache. Hat der Wunsch nach Erlösung Vorrang vor der Emanzipation, oder ist Ihnen beides gleich viel wert?
Ich glaube, für sehr viele Menschen wäre es von Vorteil, in einer intakten Großfamilie leben zu können. Die zunehmende Vereinsamung des einzelnen Menschen wirkt sich nachteilig auf die betreffenden Personen aus. Dass dies in unserer schnelllebigen Zeit kaum mehr machbar ist, ist keine Frage. Auf den Rastplätzen der Sinti und Roma funktioniert anscheinend das alte System des Familienlebens noch einigermaßen.
Was bedeutet eigentlich das Wort Ketani? Gemeinsam – mit allen Menschen eine gute Zusammenarbeit.
Frau Martl, herzlichen Dank für das ausführliche Gespräch.
Verein Ketani, Rosa Martl Fadingerplatz 5, 4030 Linz Tel: 0732/31 84 31