Raumgewinn

Die radikale Öffnung öffentlicher Räume sieht Gerald Raunig als Hintergrund des KUPF-Innovationstopfes.

Titel und Thema des diesjährigen KUPF-Innovationstopfes sind der postkolonialen Kritik von bell hooks entlehnt, einem poetisch-feministischen Diskurs, der an den Rändern der postkolonialen Gesellschaften so genannte „spaces for radical openness“ verortet (hooks 1990). Dem in den späten 1980ern formulierten Lob der Hybridität und Vermischtheit solcher Orte wurde im letzten Jahrzehnt allerdings auch von Seiten verschiedener Strömungen der politischen Theorie diverse Kritik entgegengesetzt (vgl. etwa Steyerl 2003 und die weiteren Texte des republicart-Issues „hybrid/resistance“). Abgesehen vom theoretischen Umfeld des Slogans trifft der Aufruf zur Wiederaneignung von Räumen der „radical openness„ nichtsdestoweniger auch eine wesentliche Zeiterscheinung, die sich emanzipatorisch verstehende Kulturarbeit wesentlich angeht: In den letzten Jahren, in Österreich vor allem durch den politischen Bruch von 1999/2000, ist ein Diskurs entstanden, der die politische Aufladung, Bewegungsrelevanz und Materialität sozialer Beziehungen stärker hervorhebt (vgl. u.a. die vielfältigen Beiträge in Raunig 2004).

Dabei werden vor allem aktivistische Formen der Herstellung von Öffentlichkeiten und deren Verräumlichungen thematisiert. Ihre historischen Backgrounds finden diese aktuellen Bewegungsformen im Überlappungsbereich von Kultur und Politik von den situationistischen Dérives im Frankreich der 1960er über die deutschen Häuserkämpfe und die italienischen Centri Sociali der 1970er und 80er bis hin zur englischen Reclaim the Streets-Bewegung der 1990er. Heutige Vorbilder derartigen öffentlichen Ungehorsams wären die Disobbedienti in Italien, die neozapatistische Bewegung in Lateinamerika oder die breiten Hamburger Proteste gegen die reaktionäre Politik der Schill-Partei, die in den Protesten gegen das Bauwagen-Projekt Bambule im vergangenen Winter gipfelten.

Künstlerische und politische AktivistInnen wehren sich in all diesen Kontexten nicht nur gegen Sozialabbau und Enteignungsprozesse von Öffentlichkeit, sondern besetzen offensiv öffentliche Räume. Es geht also um Wiederaneignung von Räumen, die durch einen schleichenden Prozess der Privatisierung ihren öffentlichen Charakter verloren haben. Das hat nicht nur Einfluss auf die Veränderung politischer Aktivismen gegen urbane Kontrollregimes, sondern auch auf diejenigen Strategien im kulturellen Feld, die in soziale Räume intervenieren und dabei permanent der Gefahr gegensteuern müssen, kapitalistische Kommunikationsflüsse eher zu entstören als zu stören. Derartige Probleme von Kulturinitiativen der 1980er und Kunstpraxen der 1990er stellen sich immer dort am wenigsten, wo – wie in den obigen Beispielen – eine direkte Beziehung zu Bewegungszusammenhängen besteht.

Dabei geht es – auch wenn die virtuellen Ströme im Internet eine gewisse Bedeutung gewonnen haben – nach wie vor um handfeste, reale Orte, die eine besondere Relevanz für künstlerische wie politische Aktivismen entwickelt haben oder aus ihnen entstanden sind: International gesehen wären das Kirchen- und Botschaftsbesetzungen von Sans-Papiers in Frankreich und Belgien, Grenzcamps an verschiedenen europäischen Grenzen, neue Besetzungen und Gründungen autonomer Häuser (vgl. Wibault, Nowotny, etc. in: Raunig 2004). Wo sind die diesbezüglichen Projekte im regionalen und lokalen Kontext der KUPF? Inwieweit werden Organisationsexperimente versucht, Alternativen entwickelt zum unbefragten Nachbau bürgerlicher Öffentlichkeit? Welche Organisationsformen werden dabei entwickelt? Welche Konzepte von Öffentlichkeit und konstituierender Macht? Ist die Wiederaneignung von konkreten Räumen und Häusern eine geeignete Basis für Gegenstrategien gegen die im kritischen Urbanismus breit besprochene totale Privatisierung des öffentlichen Raums? Wie stellt sich das Verhältnis dar von klandestin-autonomen Praxen und offensiven Strategien der Sichtbarkeit und der vernetzten Bündnisse? Welche Rolle spielen in den einzelnen Projekten Fragen des Antirassismus und Antisexismus? Und welchen Platz nehmen MigrantInnen und Fragen der Migration ein?

Literatur

  • bell hooks, Yearning: Race, Gender, and Cultural Politics, Between the Lines 1990
  • Gerald Raunig (Hg.), republicart. Kunst und Öffentlichkeit, Band 2, Turia+Kant 2004
  • Hito Steyerl, Can the Subaltern speak German? Postkoloniale Kritik, republicart hybrid/resistance 2003

 

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