Nachrichten aus einer anderen Welt (die möglich ist)

Bericht über das Linzer ASF Treffen von Andi Wahl

 

Nach Hallein 2003 fand von 3. bis 6. Juni das 2. österreichische Sozialforum in Linz statt. In etwa 250 verschiedenen Veranstaltungen wurden Themen aus den Feldern Gesellschaft, Feminismus, Globalisierung und Widerstand aus unterschiedlichen Ansätzen bearbeitet und diskutiert. Einige Blitzlichter und subjektive Eindrücke

Jung und aufrecht sitzt er im Diskussionskreis. Seine eindringlichen Worte mit sparsamen Ges- ten untersteichend. Das Grundübel der Welt, so schärft er den Umsitzenden ein, sei der Kapitalismus. Dieser müsse überwunden werden und zwar unter Mobilisierung der Arbeiterschaft, sonst hätte das alles keinen Sinn. Jung, männlich, weiß, Mitteleuropäer, fesch und dann auch noch beseelt vom Auftrag, als Avantgarde die Arbeitermassen in den alles entscheidenden Kampf zu führen. „Na holladaro“, denk’ ich mir, „ob das nicht ein bisserl viel Überheblichkeit für nur einen Menschen ist?“ Aber plötzlich spüre ich so etwas wie Altersmilde in mir aufkommen und entwickle eine beinahe väterliche Sympathie für den jungen Mann. Schaue ihm zu, höre ihm zu, wie er seine Argumente entwickelt und habe meine rechte Freude an dem Burschen. Ob man wohl selber auch so war, so ganz ohne Zweifel? Wahrscheinlich – Zwanzigjährige müssen präpotent sein, wo kämen wir sonst hin? Einige Wortmeldungen später – Reißveschluss- system (nach einem Mann kann nur eine Frau reden) und Vorziehung von Erstmeldungen verzögern direkte Reaktionen – muss ich dem überbordenden Revolutionär aber doch sagen, dass Rassismus, Rüstungsausgaben-statt-Sozialleistungen, Patriarchat und Umweltzerstörung ganz gut auch ohne Kapitalismus funktionieren. Der „real existierende Sozialismus“ hätte dies eindrucksvoll bewiesen. Ich bin beim zweiten Austrian Social Forum (ASF) in Linz und genieße nicht nur das gemeinsame laute Denken, sondern auch die Stimmung dieser Veranstaltung. Eine neue Kultur Natürlich summt es hier nur so von Phrasen, die durch die Luft schwirren, aber diese Phrasen bilden immer wieder einen Anknüpfungspunkt für gegenseitiges Verstehen. Verstehen, das erst entwickelt werden muss. Hier werden nicht nur revolutionäre Ansichten und weniger revolutionäre vorgetragen, stoßen nicht nur Biedermänner auf zu allem entschlossene Feministinnen, sondern hier werden neue Kommunikationsformen entwickelt und ausprobiert. Eine neue Art des Umgangs miteinander und neue Organisations- und Entscheidungsformen. Man suche, so eine dieser wenigen Formeln, auf die sich die meisten (nicht alle) einigen können, nicht den kleins- ten gemeinsamen Nenner, sondern das größte gemeinsame Vielfache. Formen, bei denen jede und jeder, ohne Abstriche an die eigenen Position, dabei sein kann (Antirassismus, -sexismus, -chauvinismus, -nationalismus usw. vorausgesetzt – aber das versteht sich hier ohnehin von selbst). Dabei wird nicht auf Einebnung der Widersprüche gesetzt, sondern auf die Herausarbeitung unterschiedlicher Sichtweisen und Analysen. Eine leidenschaftliche Streitkultur, die sich aber unter hoher Akzeptanz der Unterschiedlichkeit aller Beteiligten entfaltet. Das Andere aushalten ist hier eine von allen geforderte Übung. Crash of Civilizations Dass das nicht immer ohne Reibung abgeht ist klar. Und auch auf diesem Sozialforum kommt es zum Eklat. Bei der freitäglichen Demonstration, die der Öffentlichkeit vor Augen führen soll, dass in vielen Großkonzernen der Portier mehr Steuern bezahlt als der gesamte Konzern, fehlen zwei Frauen auf der Rednerliste des für das Mikrophon verantwortlichen Gewerkschafters. Als nun eine Sprecherin der Migrantinnenorganisation MAIZ sprechen will, wird dies vom Gewerkschafter abgelehnt. Kein entsprechender Listeneintrag. Als ihm klar gemacht wird, dass er jetzt entweder die Frau sprechen lassen kann oder die Bühne wird von zwanzig Frauen gestürmt, gibt er nach. MAIZ kennt er als Linzer Organisation, und dass diese zu Wort kommen muss, ist ihm klar. Als auch noch Claudia von Werlhof, Politologin und bekannte Feministin, sprechen will, stellt der Gewerkschafter wieder auf stur. Nochmals wird verhandelt. Gut, fünf Minuten lässt sich der Gewerkschafter breitschlagen. Eine Frist, die von Werlhof natürlich nicht einhält. Immerhin war ihr Redebeitrag beim Vorbereitungstreffen vereinbart worden und fehlt eben nur auf der Liste. Als ihr nach sechs Minuten der Ton abgedreht wird, ist der Skandal perfekt. Aber auch in diesem Fall zeigt sich die Problemlösungskompetenz des ASF. In einem Verschränkungsforum wird, unter Anwesenheit der Beteiligten, der ganze Hergang nochmals besprochen und von den unterschiedlichsten theoretischen und praktischen Seiten beleuchtet. Was herauskommt, ist weder Friede-Freude-Eierkuchen noch eine Versöhnung, aber doch ein tieferer Einblick in die Sicht und Denkweise unterschiedlicher Zugänge. Raum oder Subjekt? Das ASF beschäftigt sich auch ständig mit seiner Eigendefinition. Was ist nun diese heterogene Zusammenkunft all dieser verschiedenen Organisationen und Einzelpersonen? Ist man eine Bewegung? Sollte man sich zu einer Partei entwickeln? Ist man „Die Bewegung-der-Bewegungen“, wie es manche formulieren, oder ist man nur ein offener Raum, in dem Austausch und Auseinandersetzung stattfinden kann. Klar scheint zu sein, dass man sich als Teil einer weltweiten globalisierungskritischen Bewegung versteht. Das ist auch an den häufigen Bezugnahmen auf ähnliche Veranstaltungen wie das European Social Forum (ESF) oder die World Social Forums (WSF) abzulesen. In dieser Diskussion wird daher auch immer wieder auf Diskurse in anderen Ländern Bezug genommen. Und auf die in Porto Alegre (Brasilien) ausgearbeitete „Charta der Prinzipien“ hingewiesen. Aber natürlich, und das ist auch jenen klar, die auf diese weiterentwickelten Diskurse verweisen, jedes Sozialforum muss seinen eigenen Weg finden, wie es mit Breite, der Einbeziehung oder Zulassung von Parteien oder Gewerkschaften als herrschaftsstützende Institutionen oder der Herausbildung von Entscheidungsstrukturen umgeht. So wurde auch lange diskutiert, ob es eine Abschlusserklärung geben sollte oder nicht. Herausgekommen ist eine Abschlusserklärung des Feministischen Forums und eine allgemeine Erklärung mit stark selbstreflektivem Charakter. Mythenbildung Natürlich ist eine so schwer zu fassende Erscheinung wie ein Social Forum umrankt von Gerüchten und Mythenbildungen. Vor allem konventionelle Medien betreiben solche „Erzählungen“, aber auch TeilnehmerInnen am ASF selbst. So wird beispielsweise immer wieder auf die Proteste bei der WTO-Konferenz in Seattle im Setember 1999 als Geburtsstunde der globalisierungskritischen Bewegung verwiesen. Eine Mythenbildung, die erschreckend „westlich“ ist. In anderen Weltregionen wird als ein Gründungsmoment der Beginn des Aufstands der Zapatisten (1.1. 1994) oder das erste „Intergalaktische Treffen“ in Chiapas (1996) hingewiesen. Dies mag nur eine andere Mythenschreibung sein als die westliche, sie wird aber im Westen erschreckend wenig rezipiert. Eine wirkliche Enttäuschung ist ATTAC. Von den Mainstream-Medien als Kern der globalisierungskritischen Bewegung hofiert, geben sie am ASF eine beinahe traurige Figur ab. Redlich bemühen sie sich, in zahlreichen Veranstaltungen Wissen und Einschätzungen unter die Leute zu bringen, sehen sich aber regelmäßig einem Publikum gegenüber, das sie an Schärfe der Analyse und Radikalität weit zurück lässt. Zurück bleibt der Eindruck von klugen, freundlichen BildungsbürgerInnen – „eine herrschende Klasse auf Abruf“, wie mir eine Teilnehmerin kopfschüttelnd zuraunt. Lob und Tadel Die befürchtete Überformung des 2. ASF durch die in der Vorbereitung sehr aktiven Gewerkschaften hat nicht, oder doch zumindest nicht im befürchteten Ausmaß, stattgefunden. Hier muss vor allem Peter Schissler von der Chemie-Gewerkschaft, und eine der zentralen Figuren in der Vorbereitung, ein großes Lob ausgesprochen werden. Er hat zwar in den letzten Monaten viele Leute, die aus Bewegungszusammenhängen kommen, mit seiner Auffassung von Organisation zum Verzweifeln gebracht, brachte es aber zuwege, eine Instrumentalisierung des ASF durch die Sozialdemokratie zu verhindern. Ganz ein anderer Eindruck bleibt von Organisationen der „institutionalisierten Freien Szene“, wie etwa der KUPF oder der Linzer Stadtwerkstatt zurück. Die KUPF entschied erst sehr zögerlich sich am ASF zu beteiligen und kapitulierte dann erst recht vor den Mühen der zähen Entscheidungsprozesse. Wahrscheinlich war ihnen das alles zu wenig effizient und zu unprofessionell. Neoliberale Diktionen breiten sich ja in fast alle Gesellschaftsbereichen aus, und wenn man einmal sein Kulturmanagement-Diplom in der Tasche, oder zumindest vor Augen hat, steigt man ungern in die Niederrungen der Basisdemokratie hinab. Was blieb war ein einzelner von der KUPF veranstalteter Workshop. Dürftig, so meinten viele, mit denen ich sprach. Die Stadtwerkstatt wiederum, widmete dem ASF zwar viel Raum in ihrer Zeitung, nutzte diesen aber großteils zur Diffamierung des ASF. Zwei Organisationen, von denen man anderes erwartet hätte, die sich aber offensichtlich (noch?) nicht aus ihren gehüteten Schrebergärten hinausbewegen wollen und statt dessen lieber weiter ihre Ressentiments wie liebgewonnene Haustiere pflegen. Erstarrung eben.

Vielleicht war es dass, was mich an dem jungen Revolutionär, von dem ich eingangs erzählte, so gefiel. Sein Radikalismus wirkt wie eine Kinderkrankheit, die er wohl überwinden wird. Die Erstarrung der institutionalisierten Freien Szene in Linz wirkt hingegen wie ein Altersleiden.

Andi Wahl hat bald sein Geschichte-Diplom in der Tasche.