Sunnseitn goes Brasil

Andi Liebl zu Besuch bei Gotthard Wagner von der Sunnseitn.

 

Wenn in gängigen Diskursen über Demokratie und Globalisierung gesprochen wird, ist der Hintergrund primär ein wirtschaftlicher. Wie können Märkte erschlossen und Waren ohne Hemmnisse abgesetzt werden sind zentrale Fragen der Lobbyisten, Manager und Politiker. Demokratisierung dient dem Empire nicht als Globalisierung von sozialem Frieden sondern der globalen Gewinnmaximierung. Dass Globalisierung auch ein anderes Gesicht hat, bringt u.a. die Arbeit der Kulturinitiative Sunnseitn zum Ausdruck; ihr geht es um Verantwortung gegenüber den global, parallel stattfindenden Prozessen in Kunst und Kultur. Die KUPF besuchte die Sunnseitn, um mehr über deren Kulturarbeit und Brasilienprojekte zu erfahren.

„Das Engagement für die Demokratie ist nur ein Element der neuen Zusammenarbeit, die mir für die Nationen Amerikas vorschwebt. Sie muss vor allem Garantien bieten, dass die Marktwirtschaft überlebt, prosperiert und sich durchsetzt“, sagt Georg Bush sen. 1989 vor dem „Council of the Americas“. Das „Council of the Americas“ ist ein 1965 von Wirtschaftskreisen gegründetes Forum zur Propagierung neoliberaler Wirtschaftspolitik. Lateinamerika als Versuchsfeld für neoliberale Experimente ist wohl ein deutliches Beispiel, wie diese in die Hose gehen. 92 Millionen Menschen leben in absoluter Armut, 214 Mio. unter der Armutsgrenze. Das sind um 94 Mio. mehr als noch Ende der 80er Jahre und 41% der knapp 500 Mio. Menschen umfassenden Gesamtbevölkerung. Das damit der Subkontinent zu einer der wirtschaftlich, politisch und sozial instabilsten Regionen der Welt gehört, braucht wohl nicht näher erwähnt zu werden.

Schauplatzwechsel: Oberösterreich, Mühlviertl, Bad Mühllacken. Hier befindet sich auf einer Anhöhe das aus drei ehemaligen Garagen umgebaute Büro der Sunnseitn. Der von Licht durch Dachfenster durchflutete Raum strahlt rege Betriebsamkeit aus. Der mit Zetteln überhäufte Schreibtisch, die angefüllten Regale mit CD’s, Schallplatten, Videotapes, die Kästen und Hochregale mit Papierrollen und Ordnern wie Schachteln voller Material laufender und vergangener Projekte, der im Raum integrierte Medienraum, die Miniküche, der Holzofen sowie das Gästebett verdichten diesen Eindruck und tragen zum einladenden Charakter der umgebauten Garage bei. Auf dem Holzboden in der Mitte des Raumes steht ein Notenständer. Gotthard Wagner, rastloser Vordenker der Sunnseitn, übt hier auf seiner Geige. Nebenbei oder Zwischendurch. Denn auch die Projekte der Sunnseitn bahnen sich von diesem Raum ihren Weg in die Welt der Öffenlichkeit, werden hier nachbearbeitet und archiviert. Zurück zum Notenständer. Gotthard ist Musiker der Formation „Wiadawö!“ und der „Urfahraner Aufgeiger“ und lebt mit Frau und Kind das Leben eines Kulturbotschafters. Nicht im Sinne eines Missionars, sondern im Sinne eines Bildhauers, wie er selber sagt, der an sozialen Skulpturen mit Hand anlegt, in ständigem Dialog mit den Betroffenen und nur auf deren ausdrücklichen Wunsch.

Einladungen, wie jene der Initiative „For Art“, mit auf Brasilienreise zu gehen und in geschützten Häusern zu spielen, wie in einem grossen Kulturzentrum oder in einem Präsidentenpalast, sind nicht das vordergründige Interesse von Gotthards Kulturarbeit. Viel eher liegt das Interesse an den Hot Spots in der Gesellschaft, also mitten im Leben, dort, wo es Konflikte, soziale Spannungen und gesellschaftliche Auseinandersetzungen gibt. Dennoch verschlug genannte Einladung die Sunnseitn das erste mal nach Brasilien. Das war im Herbst 2001. Mittlerweile kehrte Gotthard im Februar 2003 zum dritten Mal von einer Brasilienreise zurück. Gemeinsam mit seinen Mitreisenden wie Sabine Schebrak, Pascale Jeannée, Ludwig Blamberger, Christof Kurzmann etc., die er in die unterschiedlichsten Projektzusammenhänge einbinden konnte, wurde jede dieser Reisen zu einer Intervention. Die Sunnseitn geht mit keinen fertigen Projekten auf Reise, sondern knüpft immer erst vor Ort an Bestehendes an. Als Medium dient die Musik, die abseits jeglicher Schräglage („erste“ / „dritte“ Welt, arm / reich, HelferIn / Beholfene, …) erst das Kennenlernen und einander Vertrauen-Lernen ermöglicht. Gerade bei solchen Hot Spots wie den Landlosen, den Straßenkindern, den Biobauern oder in den Favelas. Dieser Zugang funktioniert. Die Sunnseitn ist willkommen und taucht in stattfindende Bewegungen oder Projekte ein. Bestehendes einmal analysiert, kann der Austausch und der Blick von außen zum Tragen kommen.

Eine weiterer Hot Spot ist für die Sunnseitn das World Social Forum. Für Gotthard eines der spannendsten Experimente, das zur Zeit zu finden ist. Schon alleine dass es stattfindet, ist angesichts der weltweiten Beteiligung, der Sprachenverwirrung und der Größe unglaublich. Hier mitzumischen ist wichtig, weil es in der Avantgarde der Kultur und Kunst Parallelbewegungen gibt, die zu wenig voneinander kennen und dennoch voneinander wissen sollten. Denn, um es mit den Worten der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy zu sagen: „Unsere Strategie darf nicht nur darin bestehen, das Empire bloßzustellen, wir müssen es regelrecht belagern. Wir müssen dafür sorgen, dass ihm die Luft ausgeht. Wir müssen es beschämen, wir müssen es verspotten. Mit unserer Kunst und unserer Musik und unserer Literatur, mit unserer Dickköpfigkeit und unserer Lebenslust, mit unserer Raffinesse und unserer Unermüdlichkeit – und nicht zuletzt damit, dass wir unsere eigenen Geschichten erzählen. Geschichten, die sich von denen unterscheiden, die man uns eintrichtern will.“ Die Arbeit der Sunnseitn hat eine Vielzahl von Bildern, Videos und Geschichten hervorgebracht. Wer an einem Themenabend der Sunnseitn interessiert ist, kann sich mit Gotthard Wagner in Verbindung setzen. Als Ergänzung zu diesem Artikel empfehlen wir folgende Radiosendungen aus dem Archiv der Freien Radios und die Homepage der Sunnseitn.

Sunnseitn, Gotthard Wagner Oberwallsee 2a, 4101 Feldkirchen Tel.: 07233/70 69, Fax: 07233/70 69-4 http://www.sunseitn.org, mail@sunnseitn.org

Radio KUPF / Interview zum Artikel: http://cba.fro.at/show.php?lang=de&eintrag_id=1057

FROzine / Reiseberichte vom World Sozial Forum: http://cba.fro.at/show.php?lang=de&eintrag_id=963 http://cba.fro.at/show.php?lang=de&eintrag_id=970

Andi Liebl