Assoziationen, Gedanken und Fragen die sich beim Lesen des Ausschreibungstextes zum Innovationstopf 2006 “Provokation” so ergeben. Von Andreas Orukambe & Hannah Export
Fut, Oasch, Beidl, jetzt trink ma nu a Seidl. – Ist das nordalpenländische Volksdichtung? Oder ein an die LeserInnen gerichteter Provokationsversuch? Oder gar provokanter Volksmund, der sich mit den LeserInnen zu verbünden sucht? Das Funktionieren von Provokationen ist kultur- und damit auch sprachbedingt. Wörter wie „Beidl“ und „Seid“, kommen in Idiomen südlich der Alpen in ganz anderen Bedeutungszusammenhängen vor. Übersetzt hieße der Satz dann: …, Beitl, jetzt trink ma no, Frau Seitl; oder eigentlich: …, Tasche, jetzt trink ma no a Flasche.
Wer wen?
Stellen sich die Fragen: Wer oder was provoziert wen wie wodurch und wozu? Wer fühlt sich warum und wodurch wozu provoziert? Und wird durch eine Äußerung oder Handlung
mit oder ohne Absicht etwas hervorgerufen? Oder passiert am Ende Provokation sowieso immer nur passiv? Hm. Trotteln provozieren? Wie billig. Schon teurer: Arschlöcher provozieren. Noch teurer: von Trotteln oder/und Arschlöchern provoziert werden. Zwangsläufig beschädigt
ein Pornojäger die Mozartbüste von Markus Lüpertz. Er kann gar nicht anders, weder als Idiot noch als Nazi. Aber wer von beiden hätte jetzt die Provokationsmehrheit auf seiner Seite? Hm?
Oder mein Chef: will a) die zynische, sexistische ust. Zauk raushängen lassen und b) dafür auch noch geliebt werden. Provokant, was? Oder der Rapper gegen sämtliche Nichtmänner: sagt „alles Fotzen außer Mami“. Oder mein Onkel Otto gegen den Rest der Welt: sagt „lauter Trotteln außer mir“. Oder ich: klassifiziere alle Andersdenkenden als Schwachköpfe oder Sauhunde, je nachdem. Na super, wie selbstgerecht ist das denn?
Wer gegen wen?
Behauptung Nr. 1 lautet: Provokation passiert ausschließlich unter Gegnern, Feinden, etc. – Beispiel Nr. 1: Menschen in Bedrängnis sind eine pure Provokation für ein soziales System. Gegner der Bedrängnis arbeiten an der Abschaffung der Gleichgültigkeit und der Bedrängnis, Gegner der Menschen hüten die Gleichgültigkeit und/oder arbeiten an der Abschaffung der Menschen. Da drüben, auf der so genannten Kulturplattform, läuft seit mindestens 100 Jahren das Match KünstlerInnen gegen den Rest der Gesellschaft. Gegen die Systemerhalter. Gegen den Stillstand. Gegen den Status quo. Andersherum gedacht: für etwas Besseres als das Bestehende, Beherrschende. Dada, Punk, Intervention, Aktionismus, call it anything. Trotzdem schon 1958 Breton zu Bunuel gesagt haben soll, dass es nicht mehr möglich sei, Skandale zu provozieren. Gerade in den letzten 40 Jahren avancierte das Vehikel derProvokation zu einer sehr effizienten und erfolgreichen künstlerischen Strategie: John Cage, Valie Export, Christoph Schlingensief, Michel Houellebeq, Volxtheaterkarawane
usw.
Abgesehen davon und schnell zu vergessen: all die Selbst-und-sonst-gar-nix-Darsteller, all die Buben aller Altersstufen, all die pubertären Infantilisten. Wohin wollen wir die jetzt reklamieren? Die Guten in den Kropf, die Schlechten in den Topf? Und was bleibt im Kopf? Das vielleicht: Provokation war, ist und bleibt bis auf weiteres ein unterschiedlich geeignetes, aber in seiner unterschiedlichen Eignung stinknormales Instrument im Konzert des Klassenkampfs. Für Pazifisten: eine Waffe. Die Waffe der Ohnmächtigen?
Wer weiß wen?
Pure Provokation, Beispiel Nr. 2: die Macht in den falschen Händen und die Mittel zu ihrer Ausübung. Konkret: der Kapitalismus und die Ausbeutung, der Katholizismus und die Erniedrigung, das gesunde Volksempfinden und der Faschismus – und die Massenmedien als Begleitmusik dazu resp. als ihrer aller Stimmungskanonen. Aber was unterscheidet dann die guten von den schlechten Provokateuren? Behauptung Nr. 2: Die guten haben eine Botschaft zu transportieren und sind in der Lage dazu. Wer etwas zu sagen hat, provoziert, b er will oder nicht. Wer nichts zu sagen hat, aber um alles in der Welt gehört werden will, provoziert, weil er nicht anders kann. Radikaler, um nicht zu sagen: provokanter, formuliert es Karl Kraus 1914: “Wer etwas zu sagen hat, trete vor und schweige!”
Andreas Orukambe & Hannah Export leben und arbeiten in Wels.