Franz Fend hat Leopold Federmair’s Essay, “Adalbert Stifter und die Freuden der Bigotterie” gelesen, der sich wohltuend vom lärmenden Geräusch des akuten Stifterjahrs abhebt.
1. Stifter. Semper et ubique
Eine Stifter-Ausstellung im Prämonstratenser-Stift Schlägel, ebenfalls eine Stifter Ausstellung im Zisterzienserstift Vyssi Brod, noch eine Stifter Ausstellung im Benediktinerinnen-Kloster Traunkirchen. Die Orte verraten viel. Wandern mit Adalbert Stifter. Fressen und Saufen mit Adalbert Stifter. 22 Stifter-Wirte stehen Kochlöffel bei Fuß. Nordic Walken mit Adalbert Stifter. Pilates Bodystyling mit Adalbert Stifter. Steine und Kraftorte suchen mit Adalbert Stifter. Es ist zum Aus-der-Hautfahren. Hat der Literaturunterricht vor Jahren schon das seine geleistet, eine gesunde Abwehr gegen Adalbert Stifter zu errichten, so besorgt das heurige Stifter-Jahr den Rest. Franz Kains Ansage, “Stifter kann man nur in Einzelhaft lesen”, kann hier nur bekräftigt werden.
2. Stifter und die Gesellschaft des Spektakels
Was im heurigen Jahr von den Opinion Leaders der oberösterreichischen Provinz gefeiert wird ist nicht der 200. Geburtstag des Schriftstellers. Es werden auch nicht zu Ehren von Stifter Spektakel veranstaltet. Was hier passiert, ist das Abfeiern der Gesellschaft des Spektakels selber. Nach Debord ist das Spektakel das Modell des gesellschaftlich herrschenden Lebens. Form und Inhalt seien identisch die vollständige Rechtfertigung der Bedingungen und der Ziele des bestehenden Systems. Die Gesellschaft des Spektakels soll mit Stifter schaumgebremst verabreicht werden. Ordnung, Überschaubarkeit, Gewissheit soll der Beruhigung in unruhigen Zeiten dienen. Was mit dem Stifter-Jahr subkutan injiziert wird, sind zu Waren gewordene Heilslehren. Virtuelle Wärmestuben in Zeiten der sozialen Kälte. Beschauliche Rettungsinseln in Zeiten der absoluten Privatisierung sämtlicher Lebensrisiken.
3. Konvertiten und die kulturelle Hegemonie
Hegemonie ist, wenn der Geprügelte davon überzeugt ist, dass es gut sei, dass er geprügelt wird. Kulturelle Hegemonie ist, wenn Künstler und Kultur Schaffende, die Jahrzehnte lang die Langeweile und Verzopftheit Stifters beklagt haben, auf den Stifter-Spektakelzug aufspringen, und dem Schriftsteller nun Facetten abgewinnen, die sie früher nicht einmal ignoriert hätten. “Macht macht geil.” So beschrieb Bert Brecht die Attraktion der Herrschenden. Die Geilheit der Herrschenden besteht darin, dass sie ein paar lächerliche Cents, die bei der Adaptierung von Klöstern übrig geblieben sind, zu verteilen haben.
4. Federmair und die Bigotterie
Dass der Schriftsteller und Germanist Leopold Federmair in diesem Umfeld eine Arbeit vorgelegt hat, die ohne Getöse und Trara daherkommt, ist allein schon bemerkenswert. In seinem Essay arbeitet sich der Autor seriös und tapfer an Stifter ab. Nicht oberflächlich, im Sinne einer Affirmation des Stifter Jubiläums, sondern in kritischer Weise, jenseits der vorherrschenden Verklärung und Wiederentdeckung. Warum er sich das angetan hat, wo er doch selber konstatiert: “Stifter war kein großer Theoretiker; seine essayistische Begabung hält sich in Grenzen.” Das Abarbeiten an Stifter ist in gewisser Weise auch ein Abarbeiten am vorherrschenden Literaturbetrieb. Bigotterie, so besagt das Wörterbuch, sei eine heuchlerische, scheinheilige, übertrieben frömmelnde Haltung. “Stifters Romane und Novellen führen uns nicht an die Wurzeln der Bigotterie, sondern zeigen ohne Absicht, wie die Bigotterie als heimischer Humus über Jahrhunderte hinweg die Charaktere geprägt hat.” Darin liegt der große Nutzen der Lektüre. Federmairs. Nicht Stifters.
5. Das Entsetzen der Nachgeborenen
“Es ist entsetzlich”, war wohl eins der Lieblingssätze von Thomas Bernhard. Federmairs Verdienst liegt nicht nur darin, diesen Satz auch bei Stifter aufgefunden zu haben, sondern dass er seine Stifter-Rezeption mit seiner Erfahrung der Lektüre zahlreicher anderer Schriftsteller verschnitten hat. “Trotz diesem pauschalen Verwerfungsgestus scheint mir die Kritik an Stifter konkret, genau und auch treffend zu sein: ,Alles an Stifter ist betulich, jungfernhaft tollpatschig‘, seine ,Zeigefingerprosa‘ sei ,provinziell‘.”, führt Federmair beispielsweise Thomas Bernhard gegen Stifter ins Feld. Aber auch das ist nur ein Schlaglicht aus einem höchst differenzierten, freudvoll assoziativen Umgang mit Stifter, wie ihn Federmair zeigt.
6. Stifter und der Antisemitismus
“Mit fällt zu Hiltler nichts ein”, schrieb Karl Kraus und zerfetzte die faschistischen Parteigänger und die Nazi-Propagandisten in der “Dritten Walpurgisnacht” auf über vierhundert Seiten nach Strich und Faden. “Auf Stereotype stößt man bei Stifter häufig, nicht nur, wenn es um Juden geht”, schreibt Federmair und führt Stifter in einem Kapitel als den handfesten Antisemiten vor, der er war. Besonders in der Erzählung “Abidas” betont Stifter “bei jeder Gelegenheit den feilschenden, geldgierigen Charakter der jüdischen Figuren. Diese Obsession tränkt den Text wie ein Schwamm.”, so Federmair. Es beherrschten Stifter die Vorstellungen, dass Juden nicht zur Solidarität fähig waren, rachsüchtig seien, Heimtücke treiben, so der Essayist weiter. Stifter sei jedoch nie mit den jüdischen Gemeinden in Böhmen in Berührung gekommen. “Das Ressentiment und der Antisemitismus im Besonderen ist eine Wahnidee.” schrieb Heribert Schiedl. Er sei nicht an die Anwesenheit von Juden gebunden. Insofern befindet sich Stifter in einer langen Tradition. Einer Tradition, die bis heute, in jüngster Zeit zunehmend virulent, fortgeführt wird.
7. Überschaubare Ordnung und Schluss
Federmair hat mit seiner Arbeit Ansätzevorgeschlagen, die aufzugreifen, höchst produktiv aber auch unbequem gewesen wäre. Aber Ferdermair zufolge erscheint jener “erzkatholische Raum,” in dem das Stifter-Jahr gefeiert wird “als Reich der Bigotterie.” Und darin sind solche Auseinandersetzungen einmal nicht möglich. Denn: “Die Schauplätze und Formen der Heuchelei mögen andere sein, die Sache selbst ist nicht verschwunden.
Franz Fend