Abfahren und ankommen

Eugenie Kain über einen Nichtort: den neuen Linzer Hauptbahnhof.

 

Der Abschiedsblues ist mir abhanden gekommen. Jedenfalls am neuen Linzer Bahnhof. Wenn der Zug die Station verlässt und mit den roten und blauen Rücklichtern die/der Geliebte und mein Verstand entschwindet, bleibt der Seelenschmerz, aber er wird überlagert von einer unendlichen Frustration über den Ort der Trennung. Der Bahnhof ist nach dem Umbau zum Nichtort geworden, ohne Identität, ohne Nischen für die, die mit ihren Abschiedstränen kurz allein sein wollen. In einem Shopping-Center weine ich nicht.

Der öffentliche Raum als überschau und überwachbares Einkaufszentrum jetzt also auch am Linzer Hauptbahnhof. Im Politiksprech staut sich die Eisenbahnmetaphorik, da werden Weichen gestellt und Projekte auf Schiene, die Eisenbahn fährt drüber oder der Zug ist längst abgefahren, aber aus dem realen Bahnhof wurde alles, was mit Bahnhof zu tun hat, außer Hör und Sehweite verbannt. Kein Schienenkreischen, kein Zuggeruch, kein brauner Strich eines durchdonnernden Güterzugs, keine ungeduldig Wartenden, keine Durchsagen. Die Aufgänge zu den Bahnsteigen finden sich in schmalen Gängen irgendwo zwischen Spar, Koffergeschäft und Bäckerei, und das Wort Aufgang deutet darauf hin: die Haupthalle, oder wie sich so etwas nennen mag, befindet sich im Keller.

Stellt sich die Frage, welche Symbolik das für Ankommende hat. Ich weiß, was mich in Linz erwartet. Aber was weiß ein Fremder? Es gibt schöne Bilder in der Literatur und im Film: Ein Neuanfang ist angesagt, jemand kommt mit dem Zug in eine fremde Stadt, durcheilt die Bahnhofshalle und tritt ins Freie, die Stadt gibt erste Konturen preis, es scheint entweder die Sonne oder es ist mieses Sauwetter, jemand atmet durch, macht den ersten Schritt ins Ungewisse und ein neues Leben beginnt. In Linz ist das anders. Heraus aus dem Zug und dann auf jeden Fall einmal in die Unterwelt. Zur Straßenbahn tief hinunter in die Betonröhre, sonst in den Keller in austauschbare Beliebigkeit. Muss ein Geschäft zusperren, wird ein anderes aufsperren und niemand wird die Veränderung bemerken, also die Ankommenden werden in den Untergrund in die Shopping-mall genötigt, zu dem Zweck, dass sie an anderer Stelle wieder hinaufmüssen, um endlich ins Freie zukommen. Und bis dahin dürfte sich zumindest ein Gedanke festgesetzt haben: Das fängt ja gut an.

Eugenie Kain