Ljubomir Bratic über Allianzenbildung zum Jubiläumsjahr 2005
Wenn wir auf eine wesentliche Unterscheidung zwischen kritischem Denken und der Herstellung von Meinungen, wo wie der jetzige Bundeskanzler sagte, Aufmerksamkeit die wichtigste Währung ist, pochten, dann können wir im allerallgemeinsten Sinn sagen, dass das kritische Denken im Wesentlichen durch eine in die Zukunft Gerichtetheit charakterisiert ist, während das heutige nationalistisch gefärbte Jubilieren vor allem die Vergangenheit beschwört. In der Tat haben wir es hier mit einer Meinungsherstellung zu tun, die nur vordergründig auf die Wiederwahl der ÖVP gerichtet ist, wo die Vergangenheit die Rolle der Zukunft übernimmt.
Die ÖVP gehört heute, nachdem sie das Kleingewerbe und die Kirche links liegen gelassen hat, zu den FahnenträgerInnen des neoliberalen Kapitalismus im österreichischen Staat. Diese Rolle ist aber und so kommen wir zum hintergründigeren Gedankengang dieses Ereignisses verbunden mit einer Rückbindung auf das Eigene, auf Blut und Boden gerichtetes reaktionäres Denken. In diesem zweiten Punkt spielt sich eine grundsätzliche Auseinandersetzung zwischen den Interessensvertretungen innerhalb des österreichischen Staates ab. Die Frage für die ÖVP ist die, wie die Hegemonie hergestellt werden soll jenseits vom korporalistischen Gedankengut von SPÖ und ÖGB. Diese Einrichtung der Gesellschaft wird eine viel langfristigere Konsequenz haben als die Ergebnisse der Nationalratswahl im Jahr 2006.
Bis jetzt scheint das Spiel von der ÖVP aufzugehen. Die anderen scheinen gar nicht zu begreifen worum es geht, und wenn sie es aber begreifen, dann warten sie wie die Kaninchen vor der Schlange regungslos auf den Biss. Die Opposition die eigentlich diesen Namen gar nicht verdient hat dazu nichts zu sagen, weil sie sehr schnell als ?Vernaderer? dastehen würden. Warum eigentlich? Weil sie eben das gleiche Spiel spielen oder spielen würden. Offensichtlich aber weniger oder kaum erfolgreich.
Hier stellt sich aber die Frage: Gibt es innerhalb solcher Kontexte überhaupt noch einen Platz für kritisches Denken? Wenn die Vergangenheit in Form der Eroberungsstrategie der Meinungen die Zukunft (sowohl der Einzelnen als auch der Gemeinschaft) zu ersetzen hat, dann geht es hier vor allem um die Herstellung eines apolitischen Raumes, der kaum einen Hinweis auf irgendeine Art erfülltes Leben mehr beinhaltet. Diese apolitische Reihung und Gliederung der StaatsbürgerInnen ist die realste Option der Jubiläenkakophonie und das scheinen mir die wichtigsten Charakteristiken des anstehenden Jahrmarkts der nationalen Eitelkeiten zu sein.
Gleichzeitig ist die Verarmung, die Überwachung, die Kriminalisierung, die Illegalisierung von Teilen der Gesellschaft die andere Seite dieser happy fusion. Dazu wird die Öffentlichkeit, in einem der reichsten Staaten der Welt, mittels Kürzung der Subventionen (nicht subventionierte Öffentlichkeit ist keine Öffentlichkeit) von kritischen Einrichtungen gesäubert. Die Öffentlichkeit wird in Österreich langsam zur niedrigsten Art von Machtkampf. Entweder bist du für mich oder gegen mich. Diejenigen, die eine breitere Zielscheibe haben, werden zu Nichtdazugehörigen, gar nicht zu reden von denen, die sowieso die Rolle der Metöken in diesem Staat haben, von MigrantInnen. Die MigrantInnen haben in diesem Staat nicht einmal ein Recht auf Rechte, dem allergrundlegendsten demokratischen Recht. Für zehn Prozent seiner BürgerInnen ist dieser Staat keine Demokratie.
Hier entsteht die Notwendigkeit einer Allianz. Eine Parallelisierung der Interessen diverser politischer Subjekte in diesem Staat, seien es (um einige anzuführen) Frauen, MigrantInnen, Behinderte oder KünstlerInnen. Was in dem anlaufenden Jubilieren vor sich geht, betrifft alle und zwar in der Form der langfristigen Bedrohung der schon bestehenden Strukturen. Wir brauchen einen bundesweiten permanenten antinationalen Kongress, der imstande ist, eine Position auf der kritisch-politischen Seite der Gesellschaft zu etablieren. Eine gemeinsame Arbeit hätte da einen allen zugänglichen, gemeinsamen Mehrwert. Dazu brauchen wir List und Lust, Mut und politische Aktionen, nicht nur Podiumsdiskussionen und Symposien.
Ljubomir Bratic
Ljubomir Bratic ist Philosoph, Sozialwissenschafter und freier Publizist. Er lebt und arbeitet in Wien im Büro für ungewöhnliche Maßnahmen.