Gerlinde Schmierer porträtiert die ausgewählten Projekte des Innovationstopf 2006.
Am Freitag, den 17. März 2006 fand im Kunst-Raum Goethestraße die öffentliche Jurierung der eingereichten Projekte des Innovationstopfs 2006 statt. Bevor in eigenen Worten der EinreicherInnen und in aller Kürze die ausgewählten Projekte vorstellig werden, soll von der bestimmt nicht einfachen, aber feinen Sache der öffentlichen Jurierung die Rede sein.
Für die KUPF als Organisatorin entspricht diese Vergabemodalität einer wichtigen Intention. EinreicherInnen sowie Interessierte sollen die Möglichkeit haben der Diskussion über die Auswahl der Projekte beizuwohnen und durch eine fachlich fundierte Begründung über ihre Förderung oder Nicht-Förderung erfahren. 62 eingereichte Projektanträge, so viele wie nie zuvor, wurden von der Jury vor dem jeweiligen Hintergrund der eigenen Fachgebiete diskutiert.
Neben den vorgegebenen Auswahlkriterien formulierten die Jurymitglieder vorweg auch individuelle Schwerpunkte. Wichtige Fragestellungen unter anderem waren: Wie wird Bezug zum Thema Provokation genommen? Gibt es eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff bzw. der Methode selbst? Welche partizipativen Möglichkeiten bietet das Projekt? In welchem sozialpolitischen Kontext ist es verortet? Was ist der politische Impact (etwa Positionierungen gegen Rassismus, Sexismus, Antisemitismus)? Wie genau ist die Umsetzung ausgearbeitet? Sind mitteloder längerfristige Perspektiven angedacht? Welche Zugangsmöglichkeiten bzw. Vermittlungsstrategien wurden überlegt?
Die Jury:
Anna Brandstätter
Germanistin, Mitbegründerin von „4840 Kultur Akzente Vöcklabruck“; und ehem. Vorstandsmitglied der KUPF.
Sonja Meller
freischaffende Künstlerin, Vorsitzende des AbsolventInnenforums der Kunstuniversität Linz.
Franz Prieler
Mitbegründer der Gruppe O2/Lambach, der KUPF und des“Festival der Regionen“, langjähriges Mitglied im Landeskultubeirat und im Kunstbeirat III/8 des Bundes.
Sylvia Riedmann
studierte Politikwissenschaft, Germanistik und Russisch; arbeitet als Journalistin in Innsbruck und Wien. Mitglied des k.u.u.g.e.l.- Kollektivs, sowie des Vorstands der IG Kultur Österreich.
Vina Yun
freie Autorin, Mitglied des Redaktionskollektivs bei MALMOE, Teil des feministischen DJ-Kollektivs QUOTE in Wien. Derzeit bei der IG Kultur Österreich für das Projekt „fields of TRANSFER“
Folgende 11 Projekte wurden zur Finanzierung & Realisierung vorgeschlagen:
Die Quote und der Geschlechterproporz | FIFTITU% | www.fiftitu.at
Die Geschlechter-Quote ist eine alte Forderung der Frauenbewegung. Schon in den 70er Jahren traten Feministinnen dafür ein, dass Frauen und Männer auf allen Ebenen gleichberechtigt vertreten sind und forderten bei der Besetzung von Gremien und bei
der Vergabe von Jobs eine Quotenregelung ein. Diese Forderungen sind bis heute nicht eingelöst und noch immer ist „die Quote“ umstritten. Versuchen der Diskreditierung setzt das Projekt ein Manifest für die Quote entgegen. Papierene sowie virtuelle „Stadtansichten“ von Linz, die die Verteilung etwa von Führungspositionen in Kulturinstitutionen sichtbar machen, werden ausgearbeitet. Kulturpolitische Forderungen ergänzen diese Stadtansicht. Diskurs und Öffentlichkeitsarbeit fördern die Kontroverse.
Hängeflagge / Hans Lerperger
Die Fahne als Hängematte! Hängeflaggen werden in ganz Österreich verkauft. Programmstart ist am 1. Mai 2006, Tag der Fahne. Programmende am 26. Oktober 2006, Nationalfeiertag. Ein Stück Stoff; in rot-weiß-rot gehalten, gedreht und gewendet mit eingenähter Pflegeanleitung: „wash with similar colours“. – Österreichisches Qualitätsgütesiegel mit Adler.
Consumer’s Paradise Garage Stadtwerkstatt | Stadtwerkstatt | www.stwst.at
Die Stadtwerkstatt nutzt die Tiefgarage als Raum für eine Konfrontation mit den konsumfreudigen Citoyens. Die Tiefgarage, sozusagen eine/die Unter/Kehrseite des Konsums, dort wo das Phantom des Supermarkts haust, wird zur Bühne für eine antikonsumistische und zur Aneignung anstiftende Musikperformance. Ein Konvoi von ca. sieben Autos, in denen sich MusikerInnen und andere Akteur- Innen befinden und die jeweils am Dach ein Lautsprecherhorn befestigt haben, fahren von der Stadtwerkstatt in eine Tiefgarage. Aus den Hörnern ertönt eine im Vorfeld eigens kreierte und vorproduzierte Komposition aus Versatzstücken antikonsumistischer Songs. Wie zum Beispiel: The Slits:“Spend Spend Spend“, The Smiths: „Shoplifters of the World Unite“ oder the Clash: „Lost in the Supermarket“. Neue eigenständige Musikstücke werden erarbeitet und von den MusikerInnen vorort interpretiert. Die SängerInnen und Sänger variieren die Songtexte und improvisieren, indem sie auf die Situation reagieren.
ICH – Eine Provokation? | Interkulturelle Medienwerkstatt PANGEA | www.pangea.at
Ausländische Jugendliche wirken allein wenn sie auf der Straße gehen als Provokation. Sie sehen „anders“ aus, reden so, dass MehrheitsösterreicherInnen sie nicht verstehen, manche junge Frauen tragen sogar ein Kopftuch – etwas, das in Österreich seit 30 Jahren out ist. Die Jugendlichen sind, ohne es ändern zu können, selbst eine Provokation. Das ist das einzige was öffentlich von ihnen wahrgenommen wird. Sehr selten wird jemand gefragt, was er oder sie denn tun will, was er oder sie denkt, was seine oder ihre Wünsche sind. Das Projekt „Ich – eine Provokation?“ greift genau diese Widersprüche auf und bearbeitet sie im Rahmen der interkulturellen Medienwerkstätte PANGEA. In Workshops bearbeiten Jugendliche die Themen Provokation und Identität. Gemeinsam werden die Ergebnisse dieser Workshops zu Beiträgen einer eigenen Zeitung im Berliner Format aufgearbeitet. Eine Radiosendung und eine Aktion im öffentlichen Raum runden das Projekt ab.
Black! Oder schwarz Sehen! in Linz | Black Community Linz, Freier Rundfunk OÖ | www.fro.at
Das Kooperationsprojekt der Black Community Linz mit Radio FRO will versuchen, die öffentliche Provokation, als die Menschen „nicht-österreichischer Hautfarbe“ wahrgenommen werden, ins Positive zu wenden, die bestimmenden Bilder „des Afrikaners“ in der Öffentlichkeit durch gezielte mediale Aktionen zu verändern. Gleichzeitig soll das Projekt (Austro-) SchwarzafrikanerInnen in Linz Räume, Methoden und Mittel zur Verfügung stellen, ihre eigenen Lebensrealitäten darzustellen, sich selbst medial zu (re)präsentieren und durch eine veränderte öffentliche Wahrnehmung den „Selbstwert“ der einzelnen in der Gesellschaft zu stärken. „Black! oder Schwarz Sehen!“ ist ein Medienprojekt, das auf verschiedenen medialen und gesellschaftlichen Ebenen ein differenziertes, den Lebensrealitäten der Teilnehmenden entsprechendes Bild vermitteln soll. Verwendete Medien: Freies Radio, Kooperationen mit befreundeten Medien (Versorgerin, KUPF-Zeitung …), Ausstellung im öffentlichen Raum.
Vier Frauengeschichten als Präsent für Wels | Sylvia Köchl, Christa Putz
Marianne, Aloisia, Rosa und Paula – Vier Frauengeschichten als Präsent für Wels: Provokation nicht beabsichtigt, aber sehr wahrscheinlich. In diesem Projekt wird uns die Suche nach der Geschichte von vier oberösterreichischen Frauen beschäftigen, die vor 1938 wegen illegaler Abtreibungen mehrfach verurteilt und eingesperrt und schließlich ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück deportiert wurden. Diese Suche wird von vielen offenen Fragen angetrieben und stellt mehrfach, wenn auch unbeabsichtigt, Provokationen in Aussicht: Sie provoziert (erwiesenermaßen) Ausreden aufseiten der Gerichte, die die Akten verwahren, sie schließt bewusst Gesetzesbrecherinnen in das Denken an die Konzentrationslager ein und sie verteidigt konsequent das Recht von Frauen auf selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch. Nach Abschluss der Recherche wird das Ergebnis der Stadt Wels als Präsent überreicht.
Schreibanschläge: Denkanstöße | Autorenkreis Linz | www.autorenkreis-linz.at
Der Autorenkreis Linz (AKL) feiert heuer sein 50jähriges Bestandsjubiläum. Aus diesem Anlass heraus werden wir 2006 die Literatur verstärkt ins Bewusstsein der Bevölkerung rücken. Insofern empfinden wir es auch als Provokation, dass bislang so gut wie keine Projekte von OÖ. AutorInnen aus dem Innovationstopf der KUPF gefördert wurden. … Der Autorenkreis Linz wird mehrere konspirative Zellen bilden. Sie werden aus SchläferInnen bestehen, die kurzfristig aktiviert werden können. Die AktivistInnen werden 2006 verschiedenste tagesaktuelle Anlässe nützen, um einerseits Literatur und literarische Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen und andererseits auch gesellschaftspolitische Themen mit den Mitteln von Schrift und Sprache zu behandeln.
NS/OÖ
Context XXI, Koordination 60 + 1 | www.contextxxi.at
Ziel des Projektes NS/OÖ ist es, auf die Transformation und die bis heute wirksamen Folgen der NS-Herrschaft in Oberösterreich aufmerksam zu machen. Vor allem die Industrialisierung Oberösterreichs im NS, insbesondere durch den Arbeitseinsatz von KZHäftlingen und ZwangsarbeiterInnen war die wichtigste Grundlage für die wirtschaftliche „Erfolgsgeschichte“ des Landes. Die Transformation soll allgemein sowie beispielhaft an den Orten Steyr, Lambach und Gusen dargestellt werden. Zur Vermittlung des Inhalts sind Radiosendungen, 3 Veranstaltungen sowie ein Sonderheft der“Context XXI“ geplant.
ZweitausendSechs / wirsindherrk | Robert Hinterleiter, Florian Knopp
Ein Aufreger der Kunst- und Kulturszene Linz war und ist noch immer das Thema „Besucherzahlen“ in Verbindung mit dem Versuch v.a. von Wirtschaft und Politik, Einfluss auf die Inhalte der Museen zu nehmen. Nach dem Motto „Gute Quoten, reiches Sponsoring“ möchten wir auf ironische Art das Thema aufgreifen und mit einer Intervention unseren Projektraum zum statistisch bestbesuchten Ausstellungsraum Oberösterreichs bzw. ganz Österreichs machen. Wir planen, einen Eisenbahnwaggon zumindest an vier Samstagen im September vom Mühlkreisbahnhof in die Hauptstraße in Urfahr zu schieben und sämtliche Passanten über schlichte Rampen durch unseren Waggon, sprich unsere „Galerie“, zu lotsen. … Der Erfüllung unserer Vorgabe, im Schnitt bestbesuchte Galerie Oberösterreichs bzw. Österreichs zu sein, werden wir unsere Forderung an die Politik folgen lassen, die Fördermittel des Lentos für uns einzufordern! Unseren Projektbeitrag verstehen wir natürlich als ironischen und provokanten Umgang mit der oft gestellten Forderung hohe Besucherzahlen über inhaltliche Unabhängigkeit der Museen bei der Wahl ihrer Inhalte zu stellen.
Leck mich – ich komme! | MAIZ | www.maiz.at
Die Provokationen des Rassismus und die antirassistische Handlung von Migrantinnen. Die Migrationsbewegungen und die Anwesenheit von MigrantInnen rufen – also provozieren – eine stets restriktiver, protektionistischer und diskriminierender werdende Gesetzgebung hervor. Auch eine Intensivierung und Verbreitung von Alltagsrassismus und Diskriminierungen werden dadurch provoziert. Aus einer anderen Perspektive könnte ebenfalls behauptet werden, dass MigrantInnen von Rassismus und seinen Auswirkungen/Aktualisierungsformen provoziert werden. Was wird hier aber provoziert? Welche Intentionen werden beabsichtigt? Welche Reaktionen sollen und können entstehen? Um das widerständige Handlungspotential von Migrantinnen als Reaktionen/Aktionen auf die rassistische Provokation zu erforschen und zu fördern, wählen wir für die Umsetzung der Projektidee – im Einklang mit der Option für eine Arbeit im Feld des Fiktionalen – die Methode des Forum Theaters. Unter der Leitung einer Forum Theater-Pädagogin wird eine Gruppe von Migrantinnen ein Stück entwickeln. Bei den Präsentationen werden ZuschauerInnen eingeladen aktiv im Stück mitzuwirken, um wie oben bereits erwähnt, aus rassistischen Provokationen Möglichkeiten der Reaktion und der widerständigen Aktion zu entwerfen und auszuprobieren. Das Stück soll ausschließlich in Migrantinnenkontexten vorgespielt werden.
Linzer Pranger | sunnseitn | www.sunnseitn.org
1716: Der Pranger wird wegen der Errichtung der Dreifaltigkeitssäule vom Linzer Hauptplatz auf den Taubenmarkt verlegt. 2006: Der Pranger wird am Taubenmarkt im Rahmen des 11. KUPF-Innovationstopfes neu installiert. Im Rahmen von“PROVOKATION“ wird am Linzer Taubenmarkt ein barrierefreier Pranger aufgestellt.
Zusätzlich vergab die Jury Konzeptpreise über jeweils Euro 100,- an die Projekte:
Nachklang – Widerhall – (Verein kult-ex)
Obdachlose am Laufsteg – (ARGE für Obdachlose)
Re-Pro-Vokation – (Andreas Wimmer)
Gerlinde Schmierer ist im Vorstand von FIFTITU% und Studienassistentin an der Kunstuniversität Linz.
Nähere Infos zum Innovationstopf hier.