Martin Böhm über das erste Integrative Kulturfestival sicht:wechsel in Linz.
Nun ist es wieder einmal soweit!
Der Festivalsommer zieht ins Land und rechtzeitig vor der Kulturhauptstadt Linz 2009 wird das 1. Integrative Kulturfestival sicht:wechsel vom 22. – 30. Juni 2007 mit einem fulminanten Programm an verschiedenen Spielstätten über die Bühne gehen. Ein weiterer wichtiger Impuls zur Ästhetisierung der Stadt, für die die weichen Standortfaktoren (z.B.: breites Kulturangebot) gegenüber den harten (z.B.: Verkehrsinfrastruktur) zunehmend wichtiger werden, scheint gelungen zu sein.
Als eine der InitiatorInnen kann Iris Hanousek-Mader von der Theatergruppe Malaria genannt werden.
Die Notwendigkeit und die Beweggründe für die Initiierung des Festivals beschreibt sie wie folgt: „Die Arbeitsbedingungen für uns waren ungünstig, wir hatten Schwierigkeiten, Probelokale zu finden und bei Auftritten gab es Probleme … man hat die ästhetischen Ausdrucksmittel der Leute nicht verstanden. … Diese Missstände und der Wunsch der SchauspielerInnen nicht anhand ihrer Defizite, sondern anhand ihrer ästhetischen Ausdrucksmittel und ihren Leistungen wahrgenommen zu werden, haben mich dazu veranlasst mich mit anderen zu vernetzen. Es waren ja nicht nur wir, die diese Probleme hatten.“
Dass die Anerkennung der Kunst von Menschen mit Behinderung schwierig ist, weiß auch Ingrid Gruber-Seiberl von der Theatergruppe Schräge Vögel und Vorstandsmitglied des gemeinnützigen Vereins integrative Kulturarbeit, der das Festivals sicht:wechsel veranstaltet. Daher ist der Qualitätsanspruch für sie die oberste Prämisse, und so wird die Theatergruppe das Stück Tartuffons frei nach Molière (eine Barock-Burleske) beim Festival aufführen.
Die Entdeckung der künstlerischen Kompetenz jener Menschen, die wegen ihrer Behinderung am Rande des gesellschaftlichen Lebens stehen, ist noch gar nicht so lange zurück. 1921 machte der Arzt Walter Morgenthaler mit seiner Monographie Ein Geisteskranker als Künstler auf das Werk von Adolf Wölfi aufmerksam und in dem Buch Die Bildnerei der Geisteskranken setzte sich der Arzt und Künstler Hans Prinzhorn nicht mit dem pathologischen, sondern mit dem künstlerischen Wert seiner PatientInnen auseinander und gründete die Prinzhorn-Sammlung. Bekannte Künstler wie Paul Klee, Max Ernst und vor allem die Surrealisten wurden durch Die Bildnerei der Geisteskranken stark beeinflusst.
Begriffe wie „Outsiderkunst“, „Art Brut“, „Rohe Kunst“ oder auch „Behindertenkunst“ versuchen eine Umschreibung dessen, was in der Fachwelt noch immer kontrovers diskutiert wird. Mit dem Nationalsozialismus wurde diese Kunst gestoppt. Jean Dubuffet begann in den vierziger Jahren mit der Sammlung von Outsider-Kunst in Frankreich und benannte diese mit „Art Brut“, die er als rohe Kunst bezeichnete. Erstmals wurde der Begriff „Authentizität“ verwendet. Aus der Schweiz und Österreich kamen nun entscheidende Impulse für die Weiterentwicklung dieser Arbeit. In Niederösterreich gründete 1981 Leo Navratil das Haus der Künstler in Gugging. Mit dem Aufbegehren der 68er Bewegung veränderte sich parallel zur Kunstszene auch die Gesellschaft und der Wert lag nun auf der Ausbildung des Individuums und der Selbstentfaltung.
In Italien entstand die Anti-Psychiatrie-Bewegung, welche die Auflösung und Öffnung der Psychiatrie vehement einforderte und in den Achtzigern wurde die Forderung nach einer „Kultur für alle“ laut. Im Sommer 1985 setzt sich die Blaue Karawane von der Psychiatrie Kloster Blankenburg bei Bremen in Bewegung und forderte so die Eingliederung der Ausgegrenzten in die Gesellschaft und die Gründung des Blaumeier-Ateliers wurde zur Initialzündung für eine ganze Bewegung in Deutschland.
Womit wir wieder beim Festival sicht:wechsel wären, denn auch das Atelier Blaumeier ist beim Festival vertreten. Der kurze geschichtliche Abriss lässt erahnen, wie schwierig es war, die Idee von einem Festival zu realisieren. Diese Phase der Initiierung beschreibt Iris Hanousek-Mader so:
„Ich bin zu den verschiedenen Trägern der Behindertenhilfe gegangen und wir haben uns diesbezüglich ausgetauscht und vernetzt. Udo Danielczyk (Kupf) engagierte sich stark für diese Sache. Nach vielen Sitzungen ist der Wunsch nach einem Festival entstanden, bei dem ununterbrochen Kunst und Kultur von Menschen mit Behinderung gezeigt werden soll und somit ein Schwerpunkt gesetzt wird. Mit Hilfe von Diskussionsveranstaltungen, Workshops und einem Cafe soll die Möglichkeit des Austauschs und der Nachhaltigkeit gegeben sein.“
Diese Nachhaltigkeit wäre wünschenswert und dringend notwendig, denn die Teilnahme von Menschen mit Behinderung am täglichen Kulturleben wird nach wie vor von verschiedenen Barrieren erschwert und unzugänglich gemacht.
1 vgl. Müller A./ Schubert J. (Hrsg.), 2001:
Weltsichten – Beiträge zur Kunst von Menschen mit Behinderung. TIAMAT-Verlag, Hamburg.
Martin Böhm ist Projektkoordinator von flexible@art und im Vorstand der Kupf, des KV Woast und qujOchÖ.